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Brot

Brot

Gabriele Heppe-Knoche
Ein Beitrag von Gabriele Heppe-Knoche, Evangelische Pfarrerin, Kassel
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Als ich klein war, wohnten wir gemeinsam mit meinen Großeltern in einem Haus. Wir sahen uns täglich. Immer wenn ich irgendwann am Nachmittag zu meiner Großmutter in die Küche kam, sagte sie: Kind, komm her. Ich mach dir ein Stück Brot. Und dann nahm sie einen großen Laib Bauernbrot und hielt ihn gegen ihre Brust und schnitt mit dem großen Brotmesser eine Scheibe davon ab. Viel zum Belegen gab es damals nicht. Meist wurde es ein Butterbrot mit etwas Salz bestreut.

Für meine Großmutter war Brot etwas Kostbares. Zwei Weltkriege hatte sie erlebt. In diesen Zeiten, als einfache Familie auf dem Land, acht Kinder aufzuziehen, das war eine Aufgabe. Da zählte auch jede Scheibe Brot. Niemals hat sie Brot weggeworfen. Aus altem Brot wurde Brotsuppe gemacht. Und die Rinden, die sie wegen der Zähne nicht mehr kauen konnte, schnitt sie in kleine Würfel. Die bekamen die Hühner. Aber bei aller Sparsamkeit – für uns Kinder hatte sie immer ein Brot übrig.

Der Geruch von diesem Brot und der Geschmack, der ist bis heute in mir geblieben. Jederzeit kann ich mich an diesen Geruch des Brotes erinnern. Und damit alles, was mir als Kind festen Halt gegeben hat. Die Familie, die eng zusammenlebte und auch zusammenhielt. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, wo ich jeden Menschen kannte. Und vor allem das Gefühl von Sicherheit, das in diesem Butterbrot steckte. Für mich ist gut gesorgt. Ich habe Menschen um mich herum, die mir Brot geben.

Musik: J.S. Bach, Cello-Suite Nr. 3 C-Dur, Allemande

Unvergessen auch die unzähligen Schulbrote, die meine Mutter jeden Morgen für mich geschmiert und sorgfältig in Pergamentpapier eingewickelt hat. Vom ersten Schultag an, bis zu den Abiturprüfungen – in jeder Pause: Brot, das sie für mich zubereitet hatte. Und ich erinnere mich auch immer noch gerne an einen Abend auf unserer Terrasse. Es ist jetzt vielleicht 15 Jahre her. Meine Kinder waren noch klein. Es war Wochenende und ich hatte ihnen und den Nachbarskindern versprochen, dass sie aufbleiben dürfen, bis sie die Fledermäuse fliegen sehen können.

Ich hatte zum Wochenende einen großen Laib Brot gekauft. Der lag in der Küche und verbreitete einen enorm guten Geruch. Als ich ihn mit nach draußen brachte, riefen die Kinder: Brot, oh wie das riecht. Ich habe an dem Abend Scheibe um Scheibe abgeschnitten und sie haben frisches Brot gegessen mit wachsender Begeisterung. Brot ohne alles. Aber: Brot in schöner Gemeinschaft, Brot mit Genuss.

Man muss sein Brot mit gar nichts essen.
Mit nichts als Licht und Luft bestreut.


So fängt ein Gedicht von Eva Strittmatter an, das diese Erfahrungen genau einfängt.

Man muss sein Brot mit gar nichts essen.
Mit nichts als Licht und Luft bestreut
Gefühle, die man ganz vergessen,
Geschmack und Duft der Kinderzeit,
Sie sind im trocknen Brot beschlossen,
wenn man es unterm Himmel isst.
Doch wird die Weisheit nur genossen,
wenn man den Hunger nicht vergisst.


In diesem Gedicht von Eva Strittmatter wird es angesprochen; Brot ist mehr als nur irgendetwas, was man essen kann. Brot ist ein Lebenselixier. Brot steht in unserer Sprache für alles, was wir zum Leben brauchen. Wir sprechen z.B. vom Broterwerb und meinen damit den Beruf, mit dem wir unser Geld verdienen, um damit vieles andere, aber eben auch Brot kaufen zu können. Aber das Brot steht ganz vorne. Es geht dabei nämlich um eine grundlegende Bedürftigkeit. Brot stillt Hunger. Hunger, den die meisten Menschen im reichen Deutschland gar nicht mehr kennen. Gott sei Dank! Und wenn man Brot mit anderen zusammen isst, ja genießt, wie bei dem Erlebnis mit meinen Kindern, verbindet sich mit dem Brot auch das Gefühl von Gemeinschaft.

Musik: Francois Couperin, Cello-Duo G-Dur, Sarabande

Mit Brot verbindet sich das Gefühl von Gemeinschaft. Ich kann auch sagen: Ich schöpfe aus dem gemeinsamen Essen Lebenskraft und Fülle. Ich fühle mich geborgen. Sicher ist das auch der Grund, weshalb in vielen Religionen das gemeinsame Essen eine wesentliche Rolle spielt. Im Islam gibt es z.B. das Ritual des Fastenbrechens, wo am Ende des Fastenmonats Ramadan zu einem ganz besonderen Festmahl eingeladen wird. Und das nicht nur im engen familiären Rahmen, sondern im großen Kreis mit vielen geladenen Gästen.

Im Christentum ist das Abendmahl ein ganz zentrales Geschehen. Es ist kein opulentes Festmahl wie beim Fastenbrechen. Gemeinsam essen und trinken die Menschen im Gottesdienst Brot und Wein. Beides allerdings in kleiner Dosis. Ein Stückchen Brot, ein Schluck Wein. Zeichen nur. Und doch ist in ihnen alles enthalten. Die Erinnerung an das letzte Essen Jesu mit seinen Jüngern. Wie er das Brot geteilt und jedem ein Stück gegeben hat. Genauso den Wein. Für jeden ein bisschen. Er hält nichts zurück. So wie er sich mit seinem ganzen Leben auch nicht zurückgehalten hat, sondern sich hingegeben hat, an die Menschen um ihn herum.

Kurz nach diesem Essen wird Jesus gefangen genommen und ans Kreuz geschlagen. Doch auch nach seinem Tod tragen die Jünger diesen Geruch des Brotes in sich und den Geschmack des Weines. Und damit die Erinnerung an Jesus selbst. So wie wir uns auch beim Abendmahl erinnern an die lebensspendende Kraft Jesu, die auch in unserem Leben wirksam ist, sogar über Sterben und Tod hinaus.

Daran erinnern wir Christen uns jedes Mal, wenn wir Abendmahl feiern. Seit zweitausend Jahren sitzt die Erinnerung tief in unserem Gedächtnis. Vielleicht gerade, weil wir beim Abendmahl nicht nur das Brot und den Wein sehen und die Worte Jesu hören, sondern weil wir die Zeichen seiner Gegenwart, Brot und Wein, ganz und gar in uns aufnehmen. Sie uns ein-ver-leiben. So dass sie eine Spur, ein Gedächtnis in unserem Körper hinterlassen. Sinn und Geschmack fürs Unendliche.

Musik: J.S. Bach, „Wie teuer sind des heil’gen Mahles Gaben“ aus BWV 180

Diese Erinnerung an das letzte Essen Jesu mit seinen Jüngern, verbindet auch mit dem jüdischen Glauben. Denn an diesem letzten Abend feierte Jesus mit seinen Jüngern das Passahfest, das höchste Fest der Juden. Auch da spielt Brot eine wichtige Rolle. Das Passahfest erinnert an den Aufbruch der Israeliten aus Ägypten in die Freiheit. Es wird auch „Fest der ungesäuerten Brote“ genannt. Denn bevor die Israeliten aufbrechen zu ihrem langen Weg durch die Wüste, backen sie Brote ohne Sauerteig, so wie wir es etwa als Knäckebrot kennen. Dieses Brot ist lange haltbar. Es verdirbt nicht so leicht, sondern man kann es mitnehmen als Vorrat auf diesen langen und beschwerlichen Weg.

Doch die Reise durch die Wüste ist lang. Länger als gedacht. Es kommt der Tag, an dem alle Brote aufgegessen sind. Das macht den Menschen Angst. Manche sind verzweifelt. Andere werden zornig. Sollen wir denn hier in der Wüste verhungern? Dann hätte wir auch in Ägypten bleiben können! Da gab es wenigsten Brot. Im 2. Buch Mose wird erzählt, wie Gott den Israeliten in dieser bedrohlichen Lage hilft. Am Abend kommt ein großer Schwarm Wachteln und lässt sich in der Nähe ihres Lagers nieder. Die fangen sie und können sie braten. Am nächsten Morgen finden sie im Tau der Nacht kleine Körnchen überall auf dem Boden. Sie nennen sie Manna.

Keiner hat so etwas je zuvor gesehen. Die Körnchen sind weiß und sie schmecken nach Semmel mit Honig. Man kann sie gut essen und es gibt sie reichlich. Viele Körbe sammeln sie damit voll und tragen sie in ihre Zelte. Aber diese Körnchen haben eine Besonderheit, wie sie am nächsten Morgen feststellen. Sie lassen sich nicht aufheben. Alles was am Tag davon übrig bleibt, ist am nächsten Morgen verdorben. Sie müssen täglich neu sammeln und bekommen immer eine Tagesration.

Das ist eine harte Prüfung. Die älteren Zuhörer können sich vielleicht noch erinnern, wie es war in den Kriegsjahren und am Anfang der Nachkriegszeit im zerstörten Deutschland. Da war es schwer, genügend Brot zu bekommen. Auch da mussten viele Menschen von der Hand in den Mund leben. Jeden Abend hoffte man und betete, dass es auch am nächsten Tag etwas geben würde. Eine schwierige Erfahrung. Immer nur für einen Tag versorgt sein. Keinen Vorrat haben, auf den man zurückgreifen kann. Keine Sicherheit für morgen. Wenn auch heute nicht mehr in Deutschland, so müssen in anderen Ländern immer noch Menschen so leben. So ungesichert.

Unser tägliches Brot gib uns heute, heißt es im Vater unser, dem Gebet Jesu. Wir sprechen es in jedem Gottesdienst. Wie oft spreche ich gedankenlos darüber hinweg? Vermutlich, weil ich diese Sorge um das tägliche Brot nicht so brennend in mir spüre. Aber die Bitte spricht etwas ganz Elementares an. Es geht dabei um die Beziehung zwischen Gott und mir. Mein Leben wird durch Gott erhalten. Er hat es mir geschenkt und er erhält es auch. Wenn ich so bete: Unser tägliches Brot gib uns heute, dann vertraue ich Gott. Und gleichzeitig stelle ich mich auch in die Gemeinschaft mit anderen, die auf Gott vertrauen. Und die, so wie ich, die Sorge um ihr Leben in Gottes Hand legen.

Nicht die Verantwortung! Die bleibt immer noch bei uns selbst. Wie wir unser Leben gestalten, wie ich mich anderen gegenüber verhalte, was ich tue und was ich lasse. Auch die Verantwortung, ob ich Dinge einfach geschehen lasse, oder ob ich dazu beitrage, dass nicht nur meine Kinder Brot zu essen haben, sondern dass es auch Brot für die Welt gibt. Hunger kann gestillt werden.

Musik: Claude Debussy, En bateau, arr. für Flötenensemble

Die Israeliten damals gingen einen langen Weg mit Gott. Einen Weg, auf dem Vertrauen wächst. Schritt für Schritt. Das kommt nicht über Nacht. Jeden Tag neu, erleben sie Gottes Fürsorge. Jeden Tag neu, dürfen sie davon nehmen. Jeden Tag neu, werden sie und ihre Kinder satt. Und so kommen sie dem gelobten Land jeden Tag ein Stück näher. Das alles kommt von Gott. So wächst über Tage, über Wochen und Jahre Vertrauen. Nicht durch große Worte und große Versprechen. Es ist die alltägliche Erfahrung, die das Vertrauen immer wieder erneuert und bestärkt. Gott ist da. Er sorgt für uns.

Genau so wächst ja auch Vertrauen unter uns Menschen. Von klein auf. Da sorgen zunächst andere für uns. Die Eltern zu allererst, aber auch andere Menschen, Geschwister, Verwandte. Jeden Tag sind sie da. Lachen mit uns, trösten, geben uns Brot und Kleidung, begleiten uns durch unsere Kinder- und Jugendjahre. Der ganz normale Alltag eben. Aber so wird immer wieder bestätigt, dass ich vertrauen kann, dass ich nicht auf mich alleine gestellt bin, dass ich mich auf die anderen verlassen kann, ohne große Worte.

Sehe ich mit diesem Blick des Vertrauens auf mein Leben, bin ich einfach nur dankbar! Jeden Morgen kann ich aufstehen und meinen Dingen nachgehen. Jeden Morgen muss ich mich nicht um das tägliche Brot sorgen. Jeden Morgen gibt es Menschen, denen ich wichtig bin, die mich lieb haben, die sich um mich sorgen. Und ich kann daraus leben. Jeden Tag neu!

Ich muss mich nicht ängstlich um mein Leben sorgen, um mein tägliches Brot. Das kann ich getrost Gott überlassen. Das ist doch ein enorm entlastender Gedanke. Ich muss nicht alles an mich raffen und festhalten, damit ich auch morgen und übermorgen noch genug habe. Ich muss nicht ständig in der Sorge leben, es könnte nicht genug da sein für mich. Nicht genug Brot, nicht genug Anerkennung, nicht genug Liebe. Wo ich das erlebe, stärkt mich das Brot, auch für andere zu sorgen. Damit auch sie bekommen, was sie zum Leben brauchen.

Gott sorgt für uns. So antwortet er auf unser Vertrauen. Auch auf unseren Hunger nach Leben, nach Liebe und Geborgenheit. So wie das Brot, das unseren Hunger stillt, wenn wir uns zum Essen an den Tisch setzen und satt werden. Vielleicht haben Sie ja heute Morgen auf ihrem Frühstückstisch auch so ein gut riechendes, frisches Brot. Genießen Sie es.

Musik: J.S. Bach, Cellosuite Nr. 3 C-Dur, Gigue

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