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Werde licht
Bildquelle: congerdesign/Pixabay

Werde licht

Johannes Meier
Ein Beitrag von Johannes Meier, Evangelischer Pfarrer und Journalist, Kassel
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Ich habe einen Weihnachts-Ohrwurm. Nein, ausnahmsweise nicht „Last Christmas“ oder „Jingle Bells“. Meiner geht dieses Jahr so: „Mache Dich auf und werde licht, mache Dich auf und werde licht...“ – Das kleine Liedchen geht mir ständig im Kopf herum. Schuld sind die drei Herren, die auf meiner Fensterbank im Wohnzimmer hocken. Die heiligen drei Könige.

Sie haben sich dieses sich Jahr mächtig in der Zeit geirrt. Sie sind schon am 12. Dezember zu mir gekommen, fast zwei Wochen vor Weihnachten. Dabei dürfen sie doch eigentlich erst an Heilig Abend dem Kindlein huldigen. So kennt man sie schließlich aus dem Krippenspiel der Kinder oder von der alten Weihnachts-Krippe mit den großen Holzfiguren, die vorne in der Kirche gleich neben dem Altar steht. Da beugen sie dann alle Jahre wieder ehrfürchtig die Knie vor dem Jesuskind und bringen ihm ihre Gaben dar. Gut, streng genommen gehören die Drei auch an Weihnachten noch nicht dazu. Selbst wenn sie erst heute morgen um die Ecke kämen, wären sie noch immer zu früh! So richtig offiziell dürfen sie ja erst am 6. Januar, dem Dreikönigsfest in Erscheinung treten. Als Sternsinger zum Beispiel. Sogar bei der Kanzlerin kritzeln sie dann gerne mit Schulkreide ihre Insignien an die Tür. C-M-B. Caspar, Melchior, Balthasar. Falsch, sagen die Besserwisser. In Wahrheit stünden die drei Buchstaben gar nicht für die drei Namen, sondern für den lateinischen Segenswunsch: Christus mansionem benedicat. Christus segne dieses Haus. Auch schön und gut.

Aber weder haben sie gesungen noch gesegnet und nicht einmal Kreide hatten sie dabei, die Drei, als sie schon vor zwei Wochen bei mir hereinplatzten. Mein Freund Paul hat sie mitgebracht. Als Geburtstagsgeschenk. Und als Fundsache. Die Könige oder besser Sterndeuter, die weisen Männer aus dem Morgenlande, wie auch immer, – sie hatten frierend in einer kleinen Kiste am Straßenrand gehockt, als Paul daran vorbeispaziert ist. „Zu verschenken“ stand vorne dran auf einem Pappschild geschrieben. Paul hatte wohl erstens etwas Mitleid und zweitens noch kein passendes Geschenk für den Pfarrerfreund. Also hat er sie kurzerhand mitgenommen. Jetzt stehen sie auf meiner Fensterbank gleich über der Heizung und wärmen sich auf. Sie sehen eigentlich ganz zufrieden aus, die Sterndeuter.Erst recht, wenn ich ihnen etwas vorsinge: „Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg...“ Das geht immer! Oder eben: „Mache dich auf und werde licht...!“ – Sie hören mir stumm und lächelnd zu. Ich glaube, das ist wirklich ihr Lieblingslied.

„Mache Dich auf und werde licht...“ – Ob dort, wo meine drei Fensterbank-Könige hergekommen sind, auch Weihnachtslieder gesungen wurden? Das frage ich mich manchmal. Oder ist in ihrer alten Heimat dieses Jahr Weihnachten womöglich ausgefallen? – Zumindest für die drei Weisen aus dem Morgenlande ist dort ja offenbar kein Platz mehr gewesen. „Raus mit Euch und ab in die Kiste!“ – „Zu verschenken!“ – Wer bitte mustert zwei Wochen vor Weihnachten seine Krippenfiguren aus? Und warum? Wobei laut Paul dort am Straßenrand ja wohl nur die drei Könige zu finden waren. Hatten Maria und Josef, das Jesuskind, Ochs und Esel, die Hirten und wer sonst noch so zur weihnachtlichen Krippengesellschaft gehört bereits vorher die Kiste verlassen und woanders Asyl gefunden? Und ausgerechnet die drei Könige wollte außer Paul niemand mitnehmen? Oder sind womöglich nur die drei Jungs rausgeflogen? „Sorry, nicht genug Platz unterm Weihnachtsbaum, sucht Euch dieses Jahr mal was anders zum Huldigen.“ – Ganz wie es in ihrem Lieblingslied so schön heißt: „Macht Euch auf und werdet licht!“

Geleuchtet haben die drei Holzkönige in ihrer Ramsch-Kiste am Straßenrand allerdings nicht, sagt Paul. Im Gegenteil, ziemlich duster sei es da gewesen, fast habe er das „Zu verschenken“-Schild übersehen und den Kram für Sperrmüll gehalten. Vielleicht, meint Paul, seien die drei ja rausgeflogen, weil sie das eben nicht so richtig hinbekommen haben mit dem „Licht machen“? – Nicht „Licht machen“, sage ich, „licht werden“, so heißt das. – Meinetwegen, sagt Paul. Dann so. Macht das denn einen Unterschied? – Na klar, sage ich. Aber so wie Du verstehen wahrscheinlich viele dieses kleine Weihnachtslied völlig falsch. Statt „mache Dich auf und werde licht“ hören sie dann nur „mach Licht!“ Zugegeben: Das machen sie dann auch richtig gut! Ich jedenfalls habe den Eindruck, dass man jedes Jahr irgendwie mehr LED-Lichterketten und bunte Leuchtsterne und spektakulär illuminierte Weihnachtshäuser da draußen sieht. Findest Du nicht? Das nimmt ja fast schon Stenkelfeldsche Ausmaße an, oder? Dabei ist „Licht machen“ halt was völlig anderes als „licht werden“. Zumal licht hier eben klein geschrieben wird! – Klein?, fragt Paul, was soll das denn heißen?

Ja, das ist mir auch erst vor kurzem aufgefallen, obwohl mich diese Liedzeile schon so lange im Ohr wurmt. Licht mit kleinem l, als Adjektiv! – Aha, interessant, nicht gerade ein gebräuchliches Adjektiv. Wie ist das denn zu verstehen, also wie macht man das: licht werden?

„Mache Dich auf und werde licht.“ – Dieses „licht werden“ mit kleinem l, das kennen wir Männer jenseits der 40 ja vor allem von unserem Haupthaar. Wenn die Haare licht werden, dann machen sie Platz, dann geben sie Raum. Kennt man ja auch von einer Lichtung im Wald. Ein besseres Beispiel vielleicht, eine Lichtung ist mir wesentlich lieber als eine Glatze. Wenn ich lange durch den finsteren Wald getappt bin, bin ich doch froh, wenn sich endlich eine Lichtung auftut: Dort kann ich freier atmen, dort sehe ich den Himmel, die Wolken, die strahlende Sonne oder das Leuchten der Sterne. Dort fühle ich mich leichter. Werde licht! – Wo noch kennt man das licht mit kleinem l? Mir fällt die Seefahrt ein: Wenn Schiffe ihren Anker lichten, dann hängen sie nicht länger fest, dann lösen sie ihre Ketten und gehen auf große Fahrt. Dann sind sie frei!

„Mache Dich auf und werde licht.“ – Dieser Liedtext stammt ursprünglich aus der Bibel. Er ist ein Zitat aus dem Buch des Propheten Jesaja. Der wollte damals mit diesen Worten seine Landsleute in Jerusalem ermuntern und trösten. Dort herrschten seinerzeit Armut, Not und Trauer, weil fremde Besatzer die Einheimischen ihre Knute spüren ließen. Der Prophet aber will nicht einfach resignieren, er erzählt lieber von Hoffnung. Es werden bessere, hellere Zeiten kommen, prophezeit er. Gott hat Euch nicht vergessen! Er wird wieder Frieden ins Land und Jerusalem zum Leuchten bringen! Dein Licht wird kommen! Also lass Dich nicht kleinkriegen und entmutigen: Mache Dich auf und werde licht! – Auf hebräisch klingt das so: Kumi. Ori. Und es bedeutet wohl soviel wie: „strahle vor Freude“.

Licht werden. Raum schaffen wie auf einer Lichtung, frei sein, wie ein Schiff, das seinen Anker lichtet, vor Freude strahlen, wie der Prophet in Jerusalem. Ich glaube jetzt verstehe ich, warum dieses Lied tatsächlich so gut zu den drei Findel-Königen aus der Geschenkekiste am Straßenrand passt. Na klar: Sie sind nicht einfach irgendwo rausgeflogen, nein, sie haben sich auf den Weg gemacht, ihre Anker gelichtet und Freiraum geschaffen in der überfüllten Weihnachtskiste ihrer Vorbesitzer. Sie haben Paul erleichtert, indem sie sich ihm als spontanes Geburtstagsgeschenk angeboten haben. Und mir haben sie schließlich ein freudestrahlendes Lächeln ins Gesicht gezaubert und mich zum Singen verleitet.

Gut möglich, dass die Drei auch bei mir nur auf der Durchreise sind. Aber bevor sie sich wieder aufmachen, um licht zu werden und Licht zu bringen, dürfen sie gerne noch ein wenig auf meiner Fensterbank verweilen. Wenn es ruhig im Haus ist, spät am Abend oder früh morgens, kann man sie manchmal miteinander flüstern hören: „Fürchte Dich nicht!“, sagt C dann. „Werde licht!“ ermuntert M. Und B nickt seinen beiden Königs-Kollegen und mir zu: „Frohe Weihnachten!“

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