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Siehe, ich mache etwas Neues
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Siehe, ich mache etwas Neues

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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In meiner Kinderzeit kamen Freitagabends im Fernsehen alte amerikanische Slapstick-Serien: Väter der Klamotte, die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten usw. Mit meinen Geschwistern hing ich jede Woche am Bildschirm, und an die Filme erinnern wir uns noch heute. Zum Beispiel an eine Folge aus Dick und Doof, mit Stan Laurel und Oliver Hardy: Die beiden müssen mit ihrem Fuhrunternehmen ein Klavier abliefern. Mit der Kutsche angekommen, stellen sie fest: Das schwere Klavier muss noch eine lange, enge Treppe mit unendlich vielen Stufen hinauf. Sei’s drum, sie fangen an. Fast oben angekommen, kratzt sich einer der beiden am Kopf. Sie verlieren das Gleichgewicht und das Klavier kracht mit klimpernden Saiten wieder hinunter. Beim zweiten Versuch geht eine junge, blonde Dame auf der Treppe herab, an ihnen vorbei. Die beiden machen ihr höflich Platz. Und wieder saust das Klavier die Treppe hinab. Beim dritten mal pfeift sie ein Polizist von unten an. Und so weiter … Zu Anfang ist es witzig. Aber mit der Zeit bekommt man Mitleid mit den beiden. Es ist fast eine Qual, ihnen mit ihrer ständig gleichen Mühe zuzuschauen.

Der Film zeigt eigentlich eine alte Geschichte, die im antiken Griechenland von Sisyphos erzählt wurde. Er muss einen riesigen Felsbrocken auf einen Berg hinaufwälzen. Immer wenn er oben angekommen ist, fällt der Brocken wieder ins Tal hinab, und seine Arbeit beginnt aufs Neue. Dort ist die Geschichte allerdings wesentlich weniger witzig als bei Dick und Doof. Denn die Sisyphus-Arbeit ist eine Strafe der Götter. Für Albert Camus ist daraus im 20. Jahrhundert ein Bild für die vergebliche Existenz des Menschen geworden: Das Leben ist eine ständige vergebliche Wiederkehr des Ewig-Gleichen. Immer wieder purzeln Menschen mit ihrer Last in das gleiche, öde Tal herab. Mir kommt es oft so vor, wenn ich meine eigenen Schwächen und Fehler anschaue. Es ist wie verflixt, und ich ertappe mich wieder bei den gleichen Dummheiten, die ich schon lange kenne. Es scheint, dass es sich gar nicht lohnt, sein Leben neu zu beginnen. Denn letztlich lande ich wie Dick und Doof immer wieder unten an dem gleichen Treppenabsatz.

Auch manche Menschen in der Kirche erinnern mich an Dick und Doof unten am Treppenabsatz. Zum Beispiel diejenigen, die gegen alle Reformvorschläge resigniert einwenden: Das werden wir sicher nicht mehr erleben. Ich glaube, dass dies nicht Gottes Sicht entspricht. So sagt Gott es selbst im Buch Jesaja: „Denkt nicht an das Frühere, und auf die Vorzeit achtet nicht. Siehe, ich mache etwas Neues, jetzt sprießt es auf, erkennt ihr es nicht? Ja, ich mache in der Wüste einen Weg, in der Einöde Wasserströme.“ (Jesaja 43,18–19) Dieses Wort kann meine Perspektive von grundauf ändern, und nicht nur meine, sondern auch die in der Kirche. Ich starre nicht aus Frust unten am Boden immer wieder die gleiche lange Treppe hinauf, und frage, wie soll es da nur hochgehen? Sondern ich schaue auf die Wege, die Gott mir neu öffnet. Das gibt mir Hoffnung, und mit dieser Hoffnung kann ich es auch aufs Neue probieren.

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