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Mehr als genug?
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Mehr als genug?

Dr. Klaus Dorn
Ein Beitrag von Dr. Klaus Dorn, em. Dozent am Kath.-Theol. Seminar, Marburg
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Ein Fischer liegt am Meer neben seinem Boot im Sand, hat seinen Hut über das Gesicht gezogen und ruht sich aus. Seinen Fang der vergangenen Nacht hat er gut verkauft, die Netze schon am frühen Morgen wieder hergerichtet, das Boot ist intakt und liegt auf dem Strand. Und so hat er  jetzt Zeit für eine kleine Siesta.
Ein Tourist kommt vorbei, sieht die ganze Szene und wundert sich. Der Fischer hat sein Kommen bemerkt, nimmt den Hut vom Gesicht und stützt sich auf den Arm. Na, guten Fang gehabt, fragt der Tourist. Kann nicht klagen, sagt der Fischer. Aber wenn Sie jetzt Zeit haben, könnten Sie doch noch einmal hinaus fahren, antwortet der Tourist. Warum sollte ich, meint der Fischer. Ich habe meine Fische verkauft und gutes Geld dafür bekommen. Das reicht sogar für die nächsten Tage. Der Tourist lässt nicht locker: Aber wenn Sie heute noch einmal hinausfahren und einen ähnlich guten Fang machen würden, könnten Sie sich schon bald ein zweites Boot leisten. Und dann? fragt der Fischer. Dann könnten sie Leute einstellen und sie würden noch mehr Fische fangen. Und dann, fragt der Fischer erneut. Der Tourist wird ganz euphorisch: Dann hätten sie bald Geld für ein größeres Boot, sie könnten weiter hinausfahren und noch mehr fangen. Ich sehe es schon vor mir: Eine Fischfabrik würde entstehen mit ihrem Namen über dem Portal, und Sie wären der reichste Fischer weit und breit. Und dann, hakt der Fischer nach. Ja, dann könnten sie jemanden einstellen, der Ihr Unternehmen führt und sie könnten sich hier ausruhen. Aber das tue ich doch jetzt schon, sagt der Fischer. Fast jeden Tag!
Es ist die Geschichte von einem Mann, der glücklich zu sein scheint. Er hat täglich alles was er braucht. Er hat Zeit, um sein Leben ganz nach seinem Wollen zu gestalten. Er hat Zeit, in Ruhe, das Leben zu genießen in seiner ganzen Schönheit. Mit allen Abwechselungen, die es bringt. Er hat Zeit für seine Familie, seine Frau, seine Kinder und Enkel. Es geht ihm gut. Er scheint tatsächlich glücklich zu sein.
Der Tourist wird diesen Fischer wohl niemals verstehen. Er ist vermutlich ein reicher Mann. Vielleicht besitzt er mehr, als er je ausgeben und verbrauchen kann. Und dafür hat er wahrscheinlich  schwer gearbeitet. Sein Leben lang.
Ob ihm je dabei Zeit blieb für einen wunderbaren Sonnenaufgang, Zeit, um diesen mit seiner Frau, seinen Kindern und Enkeln zu genießen, weiß ich nicht. Ich glaube, das wirkliche Leben ist an ihm vorbeigegangen. Nämlich das mit dem Sonnenaufgang.

 

 

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