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Liebesbrief auf Asphalt
Alena Paula/GettyImages

Liebesbrief auf Asphalt

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Ich radle mit dem Fahrrad zur Arbeit. Am Fluss entlang, durch die Stadt. Die Wege sind mir vertraut. Ich kenne die Huppel auf dem Boden und die kleinen Botschaften auf der Strecke. Hingesprühte Sätze an Brücken, Verkehrsschilder mit Warnhinweisen.

Neulich gab es eine neue Botschaft. Quer über den Fahrradweg hat jemand mit dickem Pinsel und schwarzer Farbe geschrieben: „Mila, mein Herz, ich liebe dich. Du bist alles für immer.“ Ein Liebesbrief am frühen Morgen. Ob Mila ihn schon gelesen hat? Ob sie sich freut? Oder ist es ihr peinlich? So öffentlich mit Namen genannt zu sein. Wenn das Leute sehen, die Mila kennen. Ist das mit der Liebe nicht eher eine private Angelegenheit? Ich radle grübelnd weiter.

Wer mag der Schreiber sein? Und wo ist er? Ob er irgendwo wartet und schaut, dass Mila vorbeikommt? Unwillkürlich blicke ich mich um. Im Gebüsch oder am Ufer ist niemand zu sehen. Auch kein Pinsel oder liegen gelassener Farbtopf. Nur die Worte. Unbedingt sollte die Botschaft ankommen. Vielleicht musste der Unbekannte sich beeilen beim Schreiben. Darum kurz und knapp: eine Anrede, eine Liebeserklärung, ein Treueschwur. „Mila, mein Herz, ich liebe dich. Du bist alles für immer.“ Warum Menschen einem anderen ihr Herz schenken, ist von außen oft nicht zu verstehen. Doch wer liebt, weiß es. Und eine Liebeserklärung ist schön und stark.

Auch Gottes Liebe zu uns Menschen ist wie dieser Liebesbrief. Sicher, Gottes Liebesbrief ist nicht mit Pinsel und Farbe auf den Weg gemalt. Er wurde vor langer Zeit von vielen Menschen über Jahrhunderte mit Feder und Kiel auf Pergament geschrieben. Es wurden Bücher daraus und schließlich die Bibel. Darin kann ich lesen. In der Bibel stehen wunderbare Liebesworte Gottes. Beim Radeln fällt mir eines ein: „Gott spricht zu dir: Fürchte dich nicht. Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“

Dem unbekannten Schreiber von Milas Liebesbrief bin ich dankbar. Er hat mich an die Liebesworte Gottes erinnert. Irgendwie trage ich sie in meinem Herzen: Gott spricht: Ich kenne dich. Meine Liebe gilt immer. Ich bin treu. Anrede, Liebeserklärung, Treueschwur. Kurz und klar, wie der Brief an Mila.

Und noch etwas ist ähnlich: Es bleiben Geheimnisse, die sich nur den Liebenden erschließen. Unsichtbar, fern und nah, die Liebe Gottes zu uns Menschen. Manchmal ist sie mir nah und ein andermal kommt sie mir weit weg vor. Manchmal lehne ich sie ab und ein andermal sehne ich mich nach ihr. Ganz erfassen kann ich sie nicht.  Aber Gottes Liebe ist da. Bei mir. Bei dir. Quer über unserem Lebensweg steht mit starkem Pinselschwung; „Gott liebt dich. Du bist ihm alles. Für immer.“

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