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Gott ist mein Coach
Bild: Stefan K./Pixabay

Gott ist mein Coach

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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"Da hat er den Hammer ausgepackt und diese Thesen an die Tür genagelt" Und: Da stand er vor dem Kaiser und hat gesagt: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders." So klingt das, wenn ich meine Schüler:innen nach den Bildern frage, die ihnen zu Luther einfallen.

Berühmte Szenen, berühmte Worte

Zwei berühmte Szenen. Der eher legendäre Anschlag der 95 Thesen in Wittenberg und die sicher historische Szene vor dem Reichstag zu Worms. Lutherbilder – nicht nur von Schüler:innen, denke ich.

Manchen fällt sogar ein, was Luther in Worms noch dazu gesagt hat: "Gott helfe mir. Amen."

Berühmte Szenen, berühmte Worte.

Luthers Abreisetag aus Worms

Morgen, am 26. April, jährt sich eine weniger berühmte Szene zum 500. Mal. Luthers Abreisetag aus Worms. Eher nicht so spektakulär. Die Hinreise verlief über viele Stationen. Zum Beispiel Hersfeld, Alsfeld und Frankfurt. Luther reiste unter dem Schutz des Kaisers, machte häufig Station, um für seine Sache zu werben. Daher gibt heute es viele ‚Lutherstädte‘. Ganz anders der Rückweg – schutzlos, eine Reise ins Ungewisse?

Seinen großen Auftritt hat er hinter sich. Er hat ein Bekenntnis abgegeben, das prägend sein wird, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen und zu begründen. Luther hat sich auf die Bibel, gute Argumente und sein Gewissen berufen, als es darum ging, den eigenen Standpunkt klar zu machen.

"Mein Gewissen ist in Gottes Wort gefangen"

"Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder einen klaren Grund widerlegt werde," – sagt Luther, bleibt er bei seiner Überzeugung, denn sein "Gewissen ist in den Worten Gottes gefangen." Was für ein starker Auftritt. Es gibt Tumulte im Reichstag.

Die Instanzen fällen ein Urteil. Kaiser und Kirche erklären Luthers Überzeugung für eine Irrlehre. Luther wird zum rechtlosen Außenseiter erklärt.

Eine klare Haltung hat Konsequenzen

Jetzt ist dieser Moment vorbei. Luther steht vor dem Stadttor. Wie er sich wohl fühlt? Was er wohl denkt? Eine klare Haltung hat Konsequenzen. Sie klärt die Fronten, zeigt, wo jeder steht.

Luther hat viele Gegner, zum Glück sind auch Freunde geblieben. Aber welche Folgen wird seine Haltung weiter haben? Für ihn persönlich und für die Überzeugung, für die er steht?

Woraus für Luther die Gewissensentscheidung folgt

Luther ist überzeugt davon: Aus dem Zeugnis der Schrift, aus Gottes Wort, mit guten Argumenten, folgt eine Gewissensentscheidung – und zwar die richtige.

Wird seine Haltung "Schule machen"? Wie ist Luthers Haltung zu verstehen? Kann ich da was "draus lernen"?

Auch ich ringe um Einsichten

Ich fühle mich Luther menschlich nahe. Ich ringe auch um Einsichten, ich kenne Zweifel und ich sehne mich nach einer guten Beziehung zu Gott.

Wie Luther da so vor dem Stadttor steht – sicher denkt er noch an seinen starken Auftritt. Aber vielleicht denkt er noch mehr daran, wie es dazu kam. Und ist dankbar.

Was ich von Luther lernen kann

Und ich denke: Ich kann was von ihm lernen:

Vor den starken Worten hat er sich Bedenkzeit genommen. Zeit, um "gewissenhaft" zu sein. Er hört auf die Worte der Bibel. Er denkt nach, prüft das Für und Wider. Und dann entscheidet er sich nach seinem Gewissen. Am Ende dieser Zeit ruft er erleichtert: "Ich bin hindurch."

Das ist für mich beispielhaft. So kann ich mir das vorstellen, einen Standpunkt, eine Haltung zu finden. Haltung braucht Halt. Halt kann ich finden. In Gottes Wort, im Austausch von Gedanken und Argumenten, indem ich meinem Gewissen folge.

Gewissen – was ist das überhaupt?

Gewissen – was ist das überhaupt? Luther findet sein Gewissen "gefangen" in Gottes Wort. Heißt das "eingegrenzt, beschränkt oder festgehalten"? Der Philosoph Immanuel Kant sieht das Gewissen als richtende Instanz im Menschen - ständig beurteilt, manchmal verurteilt mich mein Gewissen.

Ich möchte Gottes Wort nicht als verurteilend, befehlend, einschränkend erfahren. Ich möchte, dass Gottes Wort mir Mut macht, mich inspiriert, tröstet, und so den Weg weist. Und ich denke, Luther kann mir da zustimmen.

Der 23. Psalm - ermutigende Worte

So ein Wort finde ich schon im Alten Testament. In einem seiner bekanntesten Texte. Im 23. Psalm, dem Lied vom guten Hirten. Das ist für mich ein wichtiges "Zeugnis der Schrift": "Der Herr ist mein Hirte!" Das heißt: Da interessiert sich einer für mich. – "Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal" – "du bist bei mir" - Gott kümmert sich, hilft durch schwere Zeiten – "ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar" - mit ihm geht’s mir gut und bei ihm kann ich bleiben. Wunderbare Bilder für Gott.

Schreibt euren eigenen Psalm

Sprache und Bilder ändern sich. Deshalb habe ich meinen Schüler:innen die Aufgabe gestellt: ‚Schreibt euren eigenen Psalm. Wer ist Gott für euch? Wie ist eure Beziehung zu Gott?

"Gott ist mein Coach"

Besonders beeindruckt hat mich diese Interpretation: "Gott ist mein Coach. Er ist der Trainer, der meine Stärken und Schwächen kennt. Er sorgt dafür, dass sich mein Talent entwickelt. Und wenn’s mal schiefläuft, ist er da. Mit ihm und dem Team werd‘ ich’s weit bringen."

Gott ist mein Coach – das finde ich genial übertragen. Gott als guten zu Trainer haben, ist toll.

Gewissenstraining braucht Zeit

Training braucht Zeit. Bedenkzeit, gewissenhafte Vorbereitung für starke und schwache Momente. Wenn Gott als mein Coach mir sagt: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", dann ist das gar nicht leicht umzusetzen. Ich muss darüber nachdenken, wie ich das jeweils konkret umsetzen kann. Ich brauche Leute, um darüber zu reden.

Ich denke, Gewissen bildet sich durch solch ein Training. Geleitet von einem guten Coach, mit dem ich mich auch auseinandersetzen kann. In einem guten Team, in dem es einen offenen Umgang mit Stärken und Schwächen gibt und der gemeinsame Erfolg zählt.

So entsteht Haltung im Alltag

Ob Luther da zustimmen könnte? Wohl schon in dem Gedanken, dass Gewissensbildung kein einmaliger Akt ist, sondern ein Prozess. Haltung braucht Orientierung und Entwicklung, Bedenkzeit und Austausch, Verständigung. So entstehen Hammer- und Reichstagsmomente, aber vor allem eine Haltung im Alltag - und auf die kommt’s an.

Das lässt Luther hoffentlich trotz aller Unwägbarkeiten getrost durch das Wormser Stadttor gehen: Er hat Haltung gewonnen, er hat sie gezeigt und wird sie nicht aufgeben. Gott ist sein Coach und er hat ein gutes Team.

Und wie sieht Training für’s Gewissen heute aus?

Gymnasium Hohe Landesschule in Hanau im Februar 2021

Gymnasium Hohe Landesschule in Hanau im Februar 2021. Wir haben den Gedenktag des Attentates vom 19. Februar als "Tag der Vielfalt" gestaltet. An unserer Schule wurde der Opfer und ihrer Familien und Freunde gedacht.

Haltungen gegen Rassismus entwickeln

Es gab Veranstaltungen zum Thema "Alltagsrassismus" und wie man ihn überwinden kann – in Vielfalt leben. Für uns ist das eine Gewissensfrage und -entscheidung. Nicht nur an einem Tag mit starken Aktionen.

Wir haben uns gefragt: "Wie kann es gelingen, dass nicht nur an einem besonderen Tag nach dem Gewissen gefragt wird? Was können wir tun, damit sich Haltungen entwickeln?"

Einen Apfelbaum pflanzen

Eine Kollegin hat mit einer Gruppe Schüler:innen ein Projekt entworfen, das wir im März in die Tat umgesetzt haben: wir haben einen Baum gepflanzt. Einen Apfelbaum einer alten Apfelsorte.

Dazu kommt eine Plakette mit den Namen der Anschlagsopfer. Und um den Baum herum eine Bank.

Einladung zum Gedenken und zu Bedenken

Das Ganze ist eine Einladung zum Gedenken und zu Bedenkzeit, zum Austausch von Gedanken, eine Möglichkeit, sich Zeit zu nehmen zum Hören und Reden, gerade auch um gemeinsam eine Haltung der Vielfalt zu entwickeln.

Orte der Besinnung schaffen

Wir regen dazu an, an den Schulen und im Stadtgebiet Hanaus solche Apfelbäume zu pflanzen. So bleiben die Namen der Opfer von Gewissenlosigkeit in Erinnerung und zugleich werden Coaching-Zonen für’s Gewissen eingerichtet. Die ersten Schulen machen schon mit und die Stadt auch.

Solche Orte der Besinnung könnten auch über Hanau hinaus entstehen. Vor Kirchen und Gemeindehäusern wären gute Plätze.

Apfelbäume pflanzen und das Gewissen trainieren

"Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen" soll Luther gesagt haben – Wir pflanzen Apfelbäume und trainieren unser Gewissen, damit die Welt nicht untergeht.

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