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Fastenzeit - Trainingszeit für Christen

Fastenzeit - Trainingszeit für Christen

Marcus Vogler
Ein Beitrag von Marcus Vogler, Leitender katholischer Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius Amöneburger Land
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Nur noch wenige Stunden, dann sind sie Geschichte: die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang. In den vergangenen 16 Tagen kämpften über 3000 Sportler aus der ganzen Welt um 103 Goldmedaillen. Fesselnde Wettkämpfe haben viele Menschen in ihren Bann gezogen. Zum Teil entschieden tausendstel Sekunden über Gold, Silber und Bronze oder aber auch über den undankbaren 4. Rang. Viele Tränen sind geflossen. Unbeschreiblicher Jubel und Freudentränen bei den Erfolgreichen. Tränen der Enttäuschung, des Ärgers und des Schmerzes bei den Unterlegenen oder Verletzten. Mich faszinieren die Olympischen Spiele, sei es im Sommer oder im Winter und ich ertappe mich dabei, dass ich mir auch Sportarten und Wettkämpfe anschaue, die mich sonst weniger oder gar nicht interessieren. Ich kann mich mit den Gewinnern freuen und auch mit den Verlierern mitfühlen, obwohl ich sie gar nicht persönlich kenne. Olympia ist für mich eine besondere Zeit und den olympischen Gedanken nehme ich auch für mich in Anspruch: „Dabei sein ist alles!“ Wenn auch nicht als aktiver Sportler, dann aber als interessierter Zuschauer vor dem Fernseher oder meinem Tablet. Von Olympia zu uns. Fast zeitgleich mit den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang hat für uns Christen auch eine besondere Zeit begonnen. Diese findet in jedem Jahr statt und nicht wie die olympischen Spiele nur alle 4 Jahre. Ich spreche von der Fastenzeit. Wenn Sie so wollen, dann war am Aschermittwoch unsere „Eröffnungsfeier“. Wir haben zwar kein Olympisches Feuer entzündet. Aber ein anderes Zeichen stand im Mittelpunkt. Palmzweige aus dem vergangenen Jahr. Aus ihrer Asche lassen sich katholische Christen ein Kreuz auf die Stirn zeichnen. Ein Zeichen der Umkehr, der Buße und der Besinnung. Denn gläubige Menschen sind 40 Tage lang eingeladen, sich in dieser sogenannten Fastenzeit auf das höchste christliche Fest vorzubereiten: auf Ostern, die Auferstehung Jesu Christi. Um bei dem Bild der Olympischen Spiele zu bleiben ist für mich persönlich die Fastenzeit eine Art „Trainingslager“, in dem ich mich wieder neu in meinen Glauben einüben kann und mich in Gott wieder festmachen kann. Ich darf in diesen Tagen mein Leben und meine Verhaltensweisen überdenken und gegebenenfalls verändern, wenn ich merke, dass ich mein Ziel aus dem Blick verloren habe. Fragt man einen Sportler, was der wichtigste Baustein seines Erfolges ist, so lautet die Antwort: hartes und konsequentes Training. In meinem Winterurlaub Anfang Januar in Oberhof habe ich eigentlich eher zufällig den Rodelweltcup besucht. Es ist schon faszinierend, wie die Sportler beinahe todesmutig und furchtlos den Eiskanal runter rasen in der Jagd um die beste Zeit. Wenige Tausendstel entscheiden hier über den Sieg oder ein Platz ferner liefen. Am Eiskanal kam ich mit einem Jugendlichen ins Gespräch, der als freiwilliger Helfer an der Bahn Dienst hatte. Ich fragte ihn, ob er auch schon mal hier runtergerast sei. „Schon öfters“, grinste er mich an. Ich fragte interessiert weiter: „Und dein Ziel ist es, auch einmal hier im Weltcup zu fahren?“ „Ja, klar!“, war seine Antwort „sonst wäre ich hier nicht auf dem Sportgymnasium und würde täglich so hart trainieren!“. Wie fokussiert ein junger Mensch ein klares Ziel vor Augen hat und alles dafür tut, dies zu erreichen, hat mich sehr beeindruckt. Vor allem, wenn ich dies auf mein christliches Leben übertrage. Dann heißt das nämlich für mich: auch mein Glaube bedarf des regelmäßigen Trainings. Das Ziel: In meiner Beziehung zu Gott und zu mir selbst zu wachsen. Nicht zufällig bezeichnet auch der große Heilige Ignatius seine geistlichen Übungen als Exerzitien, vom lateinischen exercitium, was so viel heißt wie „einüben“. Beim Weltjugendtag in Krakau hat Papst Franziskus das den Jugendlichen sehr anschaulich näher gebracht und ihnen zugerufen: „Steht auf von dem Sofa der Bequemlichkeit, geht hinaus.“ Mit anderen Worten also „Bewegt euch.“ Natürlich geht es im Glauben nicht um Höchstleistungen, die ich vollbringen muss. Gottes Liebe und Zuwendung kann und muss ich mir auch nicht erst verdienen. Sie sind gratis – und damit geschenkt! Aber der Vergleich mit dem Sport gefällt mir, denn da bin ich gefragt, mich aufzumachen und mich zu bewegen. Ich bin eingeladen mein Bestes zu geben.

Musik: Igor Stravinsky, Four Norwegian Moods - 1. Intrada, Dauer: 02:28

Auch in der Bibel sind verschiedene Bilder zu entdecken, die das Leben eines Christen mit sportlichen Betätigungen vergleichen. Der Heilige Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Gemeinde von Korinth:
„Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt! Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Darum laufe ich wie einer, der nicht ziellos läuft, und kämpfe mit der Faust wie einer, der nicht in die Luft schlägt; vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen verkünde und selbst verworfen werde.“ Soweit der Heilige Paulus. Damit ermuntert Paulus die Gläubigen jedoch nicht, jetzt alle Sportler zu werden. Es geht ihm darum, dass bestimmte Eigenschaften im Sport zugleich auch Kennzeichen eines Christen sein sollten: Konzentration auf das Ziel, Disziplin, Ausdauer, Regeltreue, Zielstrebigkeit.
Nach Ansicht des Heiligen Paulus kann der Sport den gläubigen Menschen helfen, die Trägheit abzulegen und körperlich in der Lage zu sein, bestimmten Anforderungen und Belastungen besser entsprechen zu können. Dies gilt dann auch für mein religiöses Leben. Für mich persönlich ist das die Brücke zur 40-tägigen Vorbereitungszeit auf Ostern: Konzentration auf das Ziel, Disziplin, Ausdauer, Regeltreue, Zielstrebigkeit. Damit ist mein Trainingsplan für diese besonderen Wochen der Fastenzeit bestens ausgefüllt.
Doch da gibt es noch mehr: Seit vielen Jahren begleitet mich eine sehr tiefsinnige Erzählung in meinem persönlichen Trainingslager durch die Fastenzeit. Sie handelt von einem Gespräch zwischen einem alten und weisen Indianer, der seinem Enkel das Geheimnis eines glücklichen Lebens erklärt: "In Deinem Leben wird Dir vieles widerfahren“, sagte der Indianer zu seinem Enkel. „Doch wisse, dass alles, was Dir widerfährt, aus Deinem Herzen kommt. In Deinem Herzen leben zwei Wölfe. Der eine Wolf, das ist der Wolf der Dunkelheit, der Ängste, des Misstrauens und der Verzweiflung. Er bringt Dir böse Träume, viel Leid und Schmerz. Der andere Wolf, das ist der Wolf des Lichts, der Hoffnung, der Lebensfreude und der Liebe. Er bringt Dir gute Träume, er schenkt Dir Mut und Hoffnung, er zeigt Dir den rechten Weg und gibt Dir weisen Rat." Der Enkel sah seinen Großvater mit großen Augen an. Der Alte schwieg eine Weile und legte seine Hand auf die Schulter des Knaben. Voller Ungeduld sagte der Kleine "Erzähl weiter, Großvater. Was ist mit den Wölfen in meinem Herzen?" Und so fuhr der Alte fort...
"Beide Wölfe kämpfen oft miteinander. Sie umkreisen sich gegenseitig und fletschen ihre Zähne. Sie gehen sich gegenseitig an die Kehle, so lange bis einer der beiden kraftlos zu Boden sinkt. Doch sie können nicht sterben. Denn sie sind keine gewöhnlichen Wölfe. Immer wieder, Nacht für Nacht, Tag für Tag erwachen sie zu neuem Leben und beginnen von vorn. Sie ruhen niemals." Wieder schwieg der alte Mann eine Weile. Doch sein Enkel war ungeduldig. "Welcher Wolf gewinnt?", fragte der Enkel. "Großvater, sag schon. Welcher Wolf gewinnt?" Der Großvater lächelte und legte seinen Arm um die Schultern des Knaben. "Der, den Du fütterst!" antwortet der Indianer...“

Musik: Igor Stravinsky, Pastorale, Dauer: 02:52

Die Geschichte von den zwei Wölfen – Auch ich merke, dass in meinem Herzen täglich der Wolf der Dunkelheit und der Wolf des Lichts miteinander kämpfen. Vielleicht kennen Sie das auch. Viele Menschen verspüren Lebensangst, weil sie sich davor fürchten, dass der Wolf der Dunkelheit, der Verzweiflung, des Misstrauens und der Furcht in ihnen siegt. Mein christlicher Glaube sagt mir, dass ich mich vor dem Wolf der Dunkelheit nicht fürchten muss. Denn bei diesem inneren Kampf bin ich nicht nur ein teilnahmsloser Zuschauer, der diesen Kampf tatenlos mit ansieht. Nein, die frohe Botschaft der Geschichte lautet, dass ich den Kampf  beeinflussen kann. Denn ich selbst kann Sorge dafür tragen, dass der Wolf des Lichts und der Freude täglich von mir gefüttert wird. Dieses Füttern kann ich trainieren, wenn ich mich zum Beispiel mit Menschen umgebe, die mir gut tun. Wenn ich einen Spaziergang in der Natur unternehme und mich an der wunderbaren Schöpfung erfreue. Als gläubiger Christ ist für mich das regelmäßige Beten eine gute Möglichkeit, den Wolf des Lichtes und der Liebe zu füttern. Wer mit Gott in einem guten Austausch steht und sich Zeit nimmt für das Gebet, den Gottesdienst oder das Lesen in der Heiligen Schrift , der findet genügend „Futter“ für den Wolf des Lichts und der Liebe – und der darf sich selbst – bildlich gesprochen - immer wieder von Gott „füttern lassen“.

Musik: Charles Koechlin, En bateau. Andantino, Dauer: 03:10

Zurück zur Fastenzeit als Trainingszeit für Christen. Seit vielen Jahren biete ich in den Wochen vor Ostern eine E-Mail Aktion an. Die Teilnehmer erhalten sonntags und mittwochs einen Impuls mit einem Bild oder einer Geschichte und einem Gedanken für den Tag oder die ganze Woche. Somit wird der Alltag am PC einmal kurz unterbrochen, bevor man wieder seiner Arbeit nachgeht. Im letzten Jahr habe ich die mittlerweile über 700 Teilnehmer einmal gefragt, welche Ideen sie für die Fastenzeit haben und ob sie diese den anderen Empfängern der Impulse mitteilen würden. Zahlreiche Anregungen kamen zurück, von denen ich Ihnen heute Morgen einige weitergeben möchte. Ein Jugendlicher teilte mit, dass er in den Wochen vor Ostern einmal ganz bewusst die Stille zulassen möchte, indem er sein Fernsehen oder seinen MP3-Player einmal ganz bewusst auslässt. Ein vielbeschäftigter Geschäftsmann möchte am Abend rechtzeitig sein Smartphone ausschalten und sich Zeit zum Beten nehmen. Eine Teilnehmerin hat sich zum Ziel gesetzt nur ein einziges Mal am Tag ihre Mails zu checken und nicht ständig nachzuschauen, ob ihr irgendjemand geschrieben hat. Eine Mutter und Hausfrau möchte sich täglich die Zeit nehmen, um mindestens eine halbe Stunde einen kleinen Spaziergang in der Natur zu unternehmen, egal wie das Wetter draußen ist. Interessant fand ich die Rückmeldung eines weiteren Teilnehmers, der jede Woche einen Besuch bei einem einsamen und kranken Menschen einplanen wollte. Ich bin fest davon überzeugt, dass es keine Grenzen gibt, kreative Ideen zu entwickeln, wie die Vorbereitungszeit auf Ostern eine besonders wertvolle Zeit werden kann. Es ist und bleibt für mich aber eine Trainingszeit, in der ich Ausdauer, Disziplin und Zielstrebigkeit an den Tag legen muss. Selbst wenn Rückschläge kommen, gilt es nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen, sondern aufzustehen und weiterzumachen. An einem guten Sportler zeigt sich die Energie, die auch der Glaube braucht. Als Christ bin ich eingeladen sportlich zu glauben. Dazu muss ich keine Höchstleistungen erbringen, sondern ich darf mir Ruhe gönnen, um zu mir selbst zu kommen und dadurch auch zu meinem Gott.

Ein südafrikanisches Gebet bringt dies mit wunderbaren Worten zum Ausdruck:
„Lass mich langsamer gehen, Herr.
Entlaste das eilige Schlagen meines Herzens
durch das Stillhalten meiner Seele.
Lass meine hastigen Schritte stetiger werden
mit dem Blick auf die weite Zeit der Ewigkeit.
Lass mich langsamer gehen, um die Blume zu sehen,
ein paar Worte mit einem Freund zu wechseln,
ein paar Zeilen aus einem Buch zu lesen.
Lass mich langsamer gehen, Herr,
und gib mir den Wunsch,
meine Wurzeln tief in den ewigen Grund zu senken,
damit ich emporwachse zu meiner wahren Bestimmung.
(Gebet aus Südafrika)

Diese Gelassenheit wünsche ich Ihnen und mir selbst.

Musik: Charles Koechlin, Ballet. Allegro giusto, Dauer: 03:16

Musikauswahl: Regionalkantor Ulrich Moormann, Fulda

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