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Der traut sich was
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Der traut sich was

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg

„Bringst du mir was zu trinken mit, bitte? Ich würde ja selbst gehen, aber bei mir geht es gerade nicht.“ Ich bin mit einem guten Freund unterwegs. Beide müssen wir lachen. Die Situation ist grotesk. Wir sind zusammen auf Radtour. 80 Kilometer liegen hinter uns. Der Hoherodskopf war unser Tagesziel. Inzwischen sind wir längst auf dem Rückweg.
Eine ambitionierte Tour war das, vor allem wegen der Höhenmeter. Und das Ganze bei sengender Hitze. Zum Glück gibt es da einen Supermarkt an der Strecke. Erschöpft rollen wir auf den Parkplatz, steigen ab, strecken uns erst einmal auf dem Boden aus. Zur Ruhe kommen. Tief durchatmen.

Wir witzeln ein wenig. Dass mein Gegenüber ziemlich am Ende seiner Kräfte ist, bleibt kein Geheimnis. „Der traut sich was“, denke ich. Obwohl er jünger und sportlicher ist als ich, kann er zugeben, dass er sich übernommen hat. Den Mut hätte ich nicht, bin ich mir fast sicher. 
Grenzen erkennen und eingestehen. Um mich selbst wissen. Zulassen, dass ich irgendwann und manchmal am Ende bin. Dann anhalten oder um Hilfe bitten können. Das tut gut. So wird alles gut. Ich entlaste auf diese Weise andere: Ich mache ihnen Mut, auch nicht immer stark sein zu müssen. Und mich selbst entlaste ich erst recht.

Leicht ist das nicht, denke ich. Rivalität ist menschlich. Jeder will der Größte sein, ein bisschen wenigstens. Jesus wird einmal von seinen Jüngern damit konfrontiert. „Wer von uns ist im Reich Gottes der Größte?“, fragen sie ihn. Und Jesus? Er holt ein Kind und stellt es vor sie. Klein sein können wie ein Kind, dann ist man wirklich groß. Die Umkehrung der Werte ist Jesu verblüffende Antwort auf menschliche Stärke. „Wo ich schwach bin, da bin ich stark“, formuliert der Apostel Paulus das in einem seiner Briefe.

Ich muss mich nicht größer machen, als ich bin. Ich darf Schwächen haben und sie zeigen. Mich fallen lassen. Solche Stärke und solchen Mut wünsche ich mir in meinem Leben auch für heute. Ein Lied kommt mir in den Sinn. Das gefällt mir gut, weil es dieses gelöst sein Können in Worte fasst.

„Herr, du bist Gott. In deine Hand o lass getrost uns fallen. / Wie du uns Hilfe zugesandt, so hilfst du fort noch allen, / die dir vertraun und deinem Bund / und freudig dir von Herzensgrund / ihr Loblied lassen schallen.“

Nach 20 Minuten Pause fahren wir weiter. Die folgenden Kilometer sind sehr entspannt, irgendwie der beste Teil der ganzen Tour. Weil wir so viel lachen, ist diese letzte Teilstrecke besonders schön. Dass sie uns ein bisschen Muskelkater eingebracht hat, hat uns nicht geschadet.

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