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Der große Trost: Ich bin bei euch
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Der große Trost: Ich bin bei euch

Dr. Dr. h.c. Volker Jung
Ein Beitrag von Dr. Dr. h.c. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt
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Mitten in der Nacht wird es plötzlich hell. So erzählt die Weihnachtsgeschichte. Und dieses Licht leuchtet auch jetzt am Weihnachtsmorgen. Das ist die Geschichte: Ein Engel Gottes erscheint den Hirten. Die sitzen draußen auf dem Feld und hüten ihre Schafe. Der Engel spricht: „Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids.“

Als Kind Hirte im Krippenspiel

Diese Stelle in der Weihnachtsgeschichte berührt mich immer wieder besonders. Vielleicht, weil ich als kleiner Junge mit fünf Jahren im Krippenspiel des Kindergartens ein Hirte war. Mantel und Hut und Stock waren viel zu groß. Der Hut ist mir immer wieder über die Augen gerutscht. Schon als Kind hat mich die Geschichte bewegt. Ganz besonders die Worte des Engels: „Fürchtet euch nicht!“ Es kann sein, die Worte haben mich damals schon erreicht in mancher Angst, die ich als Kind hatte. Es gab zwar keinen speziellen Grund dafür, aber ich hatte auch schon manchmal Angst, dass ich meine Eltern verlieren könnte. Oder dass mir etwas Schlimmes passieren könnte. In der Weihnachtsgeschichte habe ich mich geborgen gefühlt. Die Rolle des Hirten hat damals gut zu mir gepasst. Es war keine Hauptrolle. Ich konnte mit dabei sein. Dem Engel einfach zuhören. Und dann mit den anderen zur Krippe gehen, um das Jesus-Kind zu sehen. So geht sie ja weiter, die Geschichte.

Am Weihnachtsfest zeigt sich die Taktung des Lebens

Die Geschichte spricht mich jedes Mal neu an. Auch, seitdem ich erwachsen bin. Und dieses Jahr noch einmal besonders. Dabei ist jedes Weihnachtsfest anders. Am Weihnachtsfest zeigt sich die Taktung unseres Lebens. Weißt du noch? Weihnachten als Kind. Dann als Jugendlicher, als junger Erwachsener. Weißt Du noch? - Die ersten Weihnachtsfeste mit den eigenen Kindern. Weißt du noch? - Das Weihnachten nach meiner Krankheit. Irgendwann waren dann die Großeltern nicht mehr da, weil sie gestorben waren. Inzwischen ist sogar schon die nächste Generation dabei. Die wechselnden Zeiten des Lebens werden mir an Weihnachten besonders bewusst – mit allem, was traurig, und mit dem, was schön ist. In diesem Jahr feiern viele anders. Kleiner. Mir klingen die Worte des Engels im Ohr: „Fürchtet euch nicht!“ In diesem Jahr hören wir sie vielleicht noch bewusster.

Gottes Trost gewinnt Gestalt

Weihnachten ist eine große Trostgeschichte. Sie erzählt: Gott ruft seinen Menschenkindern zu: „Fürchtet euch nicht!“ Es bleibt nicht bei Worten. Gottes Trost  gewinnt Gestalt in einem Menschenkind. In diesem Kind, in Jesus, begegnen Menschen dem großen Geschenk des Lebens. Sie begegnen der Botschaft von der Nähe Gottes, auch in der Dunkelheit des Lebens. Gott ist bei den Menschen, im Leben, im Tod und über den Tod hinaus. Die Weihnachtsbotschaft ist eben nicht einfach: Haltet durch. Sondern: Ich bin bei euch. Das ist die Botschaft Gottes. Der Engel kündigt sie in der Weihnachtsgeschichte an. Und dann kommt dieses Kind zur Welt: Ich bin bei euch.

Musik: Vom Himmel hoch, ihr Engel kommt, Weise aus dem Mainzer Gesangbuch 1628, Kammerchor cantamus Halle

Die Nacht-Zeiten des Lebens

Weihnachten ist eine große Trostgeschichte. Mitten in der Nacht lässt Gott die Worte erklingen: Fürchtet euch nicht! Dass die Hirten auf dem Feld die Worte in der Nacht hören, hat auch eine symbolische Bedeutung. Furcht greift oft im Dunkeln nach Menschen. Ganz wörtlich: Wenn es draußen dunkel ist, wenn ich schlaflos im Bett liege, wenn ich sorgenvolle oder auch furchterregende Gedanken nicht loswerde. Manchmal liegt die Dunkelheit auch in mir selbst. In den Nacht-Zeiten des Lebens. Dann macht sich Furcht breit. Menschen sorgen sich, um die eigene Gesundheit, das eigene Leben oder um das Leben anderer. Zu diesen Nacht-Zeiten gehören auch die Abschiede und die Trauer. Wenn jemand sagen muss: Ich weiß nicht, wie es ohne dich weitergehen soll. Dunkelste Nacht ist es, wenn Gewalt und Krieg und Terror herrschen. Viele erleben auch die Situation mit dem Coronavirus als eine solche Zeit dunkler Nacht. Es hat das Leben erheblich durcheinandergebracht. Es macht einfach Angst, damit rechnen zu müssen, selbst krank zu werden und zur Gefahr für andere zu werden. Es kommen noch viele andere Unwägbarkeiten hinzu.

Wo ist Gott in Corona-Zeiten?

Was ist mit Gott? Wo ist Gott? Warum lässt Gott das zu? Das bin ich gerade in den Corona-Monaten gefragt worden. Ich antworte: Immer und in allem bleibt ein letztes Geheimnis Gottes. Gott hat das Leben und diese Welt nicht so gemacht, dass es keine Krankheit, kein Leiden, keinen Tod gibt. Zum Leben gehören das Risiko, das Wagnis und das Scheitern. Gott hat den Menschen auch Freiheit gelassen. Wir können entscheiden und handeln. Für viele Leiden in dieser Welt sind wir selbst verantwortlich. Dass ein Virus von Tieren auf Menschen übergeht und sich weltweit verbreitet, hat auch viel zu tun mit unserer Art zu leben. Dazu gehört der Umgang mit Tieren, die Art zu wirtschaften und die enorme Mobilität. Dennoch: Nicht alles liegt in Menschenhand. So bleibt ein letztes Warum. Darauf weiß auch ich keine sichere Antwort. Aber ich bin überzeugt: Gott spielt dabei nicht mit seinen Menschenkindern. Gott ist kein Gott des Todes, sondern ein Gott des Lebens. Davon erzählt in ganz besonderer Weise die Weihnachtsgeschichte. Aber nicht nur sie. Die Bibel bezeugt auf vielfache Weise den großen Trost Gottes.

Musik: Andreas Hammerschmidt, Musicalische Gespräche Über Die Evangelia - Freue Dich, Du Tochter Zion,  Schweriner Blechbläser Collegium

Der Freudenbote kommt

Der Trost Gottes ist ein zentrales Thema in der Bibel. Schon lange vor Jesus. Da trat zum Beispiel der Prophet Jesaja auf. Er wendete sich an Menschen, die schlimme Zeiten erlebt hatten, das Volk Israel. Ihr Land war vom Krieg verwüstet. Die Gegner hatten viele Menschen getötet, andere vertrieben und deportiert. Die Hauptstadt Jerusalem und der Tempel dort auf dem Berg Zion waren zerstört. Alles lag am Boden. Die Überlebenden fühlten sich von Gott verlassen. Und sie haben gefragt: „Warum? Warum ist Gott gerade jetzt weit weg?“ Ihnen hat Jesaja geantwortet: So ist Gott nicht. Gott ist nicht weit weg. Gott kommt. Gott kommt immer wieder hinein in diese Welt. Gott kommt zu euch. Gott ist bei euch. Gott tröstet, Gott richtet auf. Hört und seht! Für diesen großen Trost hat der Prophet Jesaja starke sprachliche Bilder gefunden:

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König! (… )Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen der Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.  (Jesaja 52,7.9.10)

Gott erscheint in den Trümmern

Die Botschaft des Propheten ist klar: Es bleibt nicht bei den Trümmern. Gott richtet euer Leben wieder auf! So ist Gott. Daran haltet euch fest – auch und gerade jetzt, wo ihr so viel Dunkles erlebt. Daran haben sich viele Menschen festgehalten. Und so ist es auch gekommen. Der Glaube und der Trost sind zu vielen Jüdinnen und Juden  zurückgekehrt. Sie konnten nach langen Jahren wieder nach Hause ziehen. Sie haben ihre Stadt wiederaufgebaut und auch den Tempel. Neues Leben entstand in den Trümmern, den Trümmern aus Stein und den Trümmern der Seelen.

Wie Jesus von Nazareth von Gott spricht

Gott kommt und führt zum Leben. So wird von Gott geredet in den großen Schriften des Judentums. Und so redet später auch Jesus von Gott. Er trägt diese Gedanken, diesen Glauben in sich. Ja, er bezeugt und verkörpert diesen Trost durch seine Geburt, sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung. Damit lädt er alle Menschen ein, so auf Gott zu schauen und sich diesem Gott anzuvertrauen: Gott kommt zu euch, Gott ist bei euch. Deshalb: Fürchtet euch nicht! Dieser Trost hat auch heute Kraft. An diesem Weihnachten 2020.

Musik: Fröhlich Soll Mein Herze Springen, Kay Johannsen 

Lichtblick Weihnachten

Gott kommt, Gott ist bei euch. Fürchtet euch nicht! Dass das keine leere Botschaft ist, erleben und erfahren Menschen immer wieder. Auch heute. Vor einigen Jahren hat mir ein guter Freund geschrieben, dass er in diesem Jahr ein besonderes Weihnachtsfest erlebt hat. Bei ihm war wenige Wochen vor Weihnachten eine schlimme Krankheit diagnostiziert worden. Er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Ganz intensiv, so schreibt er, hat er die Worte der Weihnachtsgeschichte in sich aufgenommen. Mehr denn je hat er verstanden,  warum es damals Nacht war und warum es ein armseliger Stall war, in dem der Sohn Gottes zur Welt gekommen ist. Damit wir vor Augen haben, dass er bei uns ist in unserer Nacht und in unserer Armseligkeit. Mein Freund hat auch geschrieben, wie sehr ihm diese Botschaft Kraft gegeben hat, ihm und seiner Frau. Die Weihnachtsgeschichte war für ihn in diesem Moment dunkler Nacht ein Lichtblick, eine große Trostgeschichte.

Gott vergisst die nicht, die im Finstern sitzen

Die Kraft des Weihnachtsfestes kann sich in dramatischen Krisenzeiten besonders intensiv entfalten. Das haben schon viele erlebt und davon erzählt. Etwa in Geschichten von den Weihnachtsfesten in den Jahren des 2. Weltkrieges, als vieles buchstäblich in Trümmern lag. Der Theologe Helmut Gollwitzer war Weihnachten 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft. In seinen Erinnerungen beschreibt er, dass sie irgendwie Weihnachten feiern wollten. Sie trafen dafür im Gefangenenlager Vorbereitungen. Einer der Kameraden habe ihn aber flehentlich gebeten, doch jede Erinnerung an Weihnachten zu unterlassen. Er könnte das nicht aushalten und würde sich dann das Leben nehmen. Doch es kam dann anders. Darüber schreibt Gollwitzer wörtlich: „Er hing sich nicht auf; sicher nicht nur, weil er im entscheidenden Moment zu feige dazu war, sondern weil er das weihnachtliche Licht, das in der Finsternis leuchtet, zu Gesicht bekommen hatte. Nicht „nicht daran denken“, sondern mit aller Kraft daran denken – das hatte uns der Heilige Abend gelehrt. Woran aber? … als wir das Weihnachtsevangelium hörten und uns auslegten, da ging es wie ein Wunder auf: ´Gott hat derer nicht vergessen, die im Finstern sind gesessen.`“ (Helmut Gollwitzer, Weihnachten 1945 – 1948, in: Es begab sich aber zu der Zeit. Texte zur Weihnachtsgeschichte. Hg. Walter Jens, Frankfurt 1993, S. 139/140) So berichtet Helmut Gollwitzer darüber, wie der große Trost Gottes auch die geschlagenen und verzweifelten Soldaten in ihren Lagern erreichte. Der Trost Gottes, das Licht der Weihnacht, auch an den dunkelsten Tagen.  

Musik: Johann Sebastian Bach, Ich steh an Deiner Krippen hier, Kammerchor cantamus Halle

Gott ist bei euch

Ich hoffe: Der große Trost Gottes erreicht auch heute Menschen in ihrer Angst vor der Pandemie. In ihren Sorgen um ihr Leben, um das Leben ihrer Lieben und um die ganze bedrohte Welt. Daran halten Christinnen und Christen aller Konfessionen fest. In diesem Jahr mit einer gemeinsamen Aktion. „Fürchtet euch nicht! Gott ist bei euch.“ Mit diesen Worten laden die evangelische und die katholische Kirche zusammen zum Weihnachtsfest ein. Eine solche gemeinsame, also ökumenische Einladung hat es bisher noch nicht gegeben. Doch in diesem Jahr wollen wir gemeinsam sagen, was uns verbindet und was uns trägt. Das ist die Absicht. Mit Jesus Christus hat Gott uns Nähe und Liebe gezeigt. Darauf vertrauen wir, gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit.

Trost - keine billige Vertröstung

Weihnachten ist eine große Trostgeschichte. Sie bezeugt, dass Menschen selbst in aller Dunkelheit nicht von Gott verlassen sind. Es gibt in diesem Leben vieles, was einen in Fragen und Zweifel stürzen kann. Da werden Wünsche und Pläne zerstört. Da gerät das Leben in Gefahr. Da ist ein Abschied von einem lieben Menschen. Manchmal ist es sogar so, dass alles wie in Trümmer zerfallen ist. Mich erschüttert dabei, wie schwer es manche Menschen treffen kann. Was müssen Menschen durchmachen, die vor Krieg und Not fliehen und dann in einem überfüllten Flüchtlingslager mit entsetzlichen hygienischen Bedingungen landen? Was erleben Menschen hier in diesem Land, die ihre Miete nicht mehr zahlen können und obdachlos werden? Was ist mit all denen, denen Corona ihre Existenzgrundlage raubt? Wie hören Sie den großen Trost der Weihnachtsgeschichte? Ich hoffe sehr, dass die Botschaft von der Nähe Gottes für sie keine billige Vertröstung ist. Ich hoffe, dass sie wirksame Worte hören, die wirklich trösten und stärken. Ich hoffe vor allem, dass Menschen für sie da sind und ihnen zur Seite stehen. Die ihnen helfen, auf die Beine zu kommen. Und dass sie dann aus den Trümmern heraus neu ins Leben finden.

Tief durchatmen und wieder aufstehen

Die Weihnachtsgeschichte tröstet und stärkt. Sie bringt Menschen auf den Weg, die gute Botschaft von der Nähe und Menschenliebe Gottes weiterzugeben. Wie ist das genau mit dem Trost, wie wirkt er? Am deutlichsten kann man das sehen bei einem Kind. Das da in seiner Ecke sitzt und sich fürchtet, weil es denkt, es ist allein. Und dann auf einmal die Hand der Mutter oder des Vaters auf der Schulter und die vertraute Stimme: Du musst keine Angst haben, ich bin hier. Das Kind kann wieder locker lassen, durchatmen, es richtet sich auf. Und kann wieder losziehen, spielen, kann wieder lachen. Alles ist auf einmal anders. Vorher untätig in der Ecke, jetzt zurück in die Bewegung, zurück ins Leben.

Selbst Freudenbotin und Freudenbote werden

Und wenn das einem als Erwachsenen so geht, von der Starre zurück ins Leben, dann will man oft auch andere dran teilhaben lassen. Zeigen und sagen, wie gut es einem wieder geht. Das beginnt schon in der Weihnachtsgeschichte. Sie erzählt von den Hirten. Die konnten und wollten das, was sie erlebt hatten, nicht nur für sich selbst behalten. In der Bibel heißt es wörtlich: „Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ So wurden sie zu Freudenboten. Zeugen für den großen Trost Gottes. Und die gibt es bis heute.

Musik: O du fröhliche, Schweriner Blechbläser Collegium

 

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