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Dem Himmel ein Stück näher kommen
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Dem Himmel ein Stück näher kommen

Irmela Büttner
Ein Beitrag von Irmela Büttner, Evangelische Pfarrerin, Offenbach-Bieber

Manchmal wäre ich gerne dem Himmel ein Stück näher. Einfach mal ein Stück weiter oben. Dann schnüre ich die Wanderstiefel und steige auf einen Berg. Hoch hinauf bis zum Gipfelkreuz. Da bin ich dem Himmel schon ein großes Stück näher. Beim Fliegen geht es mir ähnlich. Da habe ich das Gefühl: Über den Wolken, da, wo ich die Erdkrümmung schon sehen kann, da, wo die Freiheit grenzenlos sein muss, von der Reinhard Mey gesungen hat, da bin ich dem Himmel ganz nah.

Oder ich gehe in die großen, alten Kirchen, in die Kathedralen. Die alten Baumeister hatten die Idee, dass die Architektur einen innerlich nach oben zieht und man dadurch dem Himmel näher kommt. Dicke Säulen tragen das Gewölbe und sehen dabei doch so schlank aus. Die Decke ist so weit oben, dass man nur erahnen kann, wie hoch das Gebäude wirklich ist. Endlos scheint man mit den Augen hinaufzusteigen bis zum höchsten Punkt in der Kuppel. Dort oben, winzig und doch in Wahrheit ziemlich groß, sieht man vielleicht einen Engel, der auf die Menschen im Kirchenschiff herunterschaut.

Dem Himmel ein Stück näher. Viele Kirchen haben Decken, die sogar wie ein Himmel bemalt sind. Mir fällt da immer als erstes die Sainte Chapelle in Paris ein. Das Deckengewölbe ist tiefblau. Es ist übersät mit kleinen gelben Sternen. Ein Meer von Sternen. Wenn ich zu diesem Deckengewölbe hinaufschaue, werde ich ganz andächtig und staune über die Schönheit der Welt, obwohl ich doch gar nicht draußen bin, sondern drinnen in einer Kirche. In anderen Kirchen ist der Himmel an der Decke noch viel mehr ausgemalt – mit Wolken und Engeln.

Es gibt Deckengemälde, wenn man die von unten betrachtet, ist es so, als würde sie einen einsaugen, in den Himmel hinein ziehen. Auch Menschen sind auf diesen Deckenbildern dargestellt. Sie steigen in den Himmel auf, immer höher, immer weiter hinauf. Das Ganze hat manchmal auch noch einen 3D-Effekt. Die Figuren am Rand des Deckengemäldes sehen aus, als würden sie aus dem Bild herausragen.

Manchmal liegt in solchen Kirchen ein Spiegel auf dem Boden. Ohne sich den Hals zu verrenken, kann man in dem Spiegel sehen, was sich da oben alles dargestellt ist. Mich macht das ehrfürchtig. Dem Himmel ein Stück näher kommen, das wollten die Menschen, die diese Kirchen gebaut haben und die diese Deckengemälde gemalt haben. Dem Himmel ein Stück näher kommen.

Darum geht es an dem Feiertag heute. Der heißt Himmelfahrt. Christen erinnern an Jesus, von dem die Bibel erzählt: Er ist in den Himmel aufgestiegen. Klingt abgefahren. Aber wenn man die Geschichte in der Bibel genauer anschaut, merkt man: Es geht um die Sehnsucht, dem Himmel ein Stück näher zu kommen.

Dem Himmel ein Stück näher kommen. Von Jesus wird erzählt, dass er in den Himmel aufgestiegen ist. Das sagen Christen auch in ihrem Glaubensbekenntnis: „am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel“. Heute feiern Christen Himmelfahrt. Sie lesen die Geschichte, wie Jesus sich nach seiner Auferstehung von seinen Jüngern verabschiedet.

Jesus und seine Jünger sind auf dem Ölberg. Das ist der höchste Punkt in Jerusalem. Auf einmal sehen die Jünger, wie Jesus vor ihren Augen emporgehoben wird. Eine Wolke nimmt ihn auf, und er ist weg. Das ist schon ziemlich verrückt, wenn man sich das so konkret vorstellt. In einigen katholischen Kirchen gibt es einen hölzernen Deckel mitten in der Decke. Achten Sie mal darauf, wenn Sie das nächste Mal eine Kirche betreten. Diesen Deckel kann man abnehmen. Dann ist ein Loch in der Decke. Durch dieses Loch kann man eine Jesusfigur von unten nach oben durch die Decke ziehen. So kann sich die Gemeinde vorstellen, wie Jesus in den Himmel hinaufgestiegen ist. Das ist was fürs Auge.

Aber noch wichtiger ist, was sich jeder Gläubige vorstellt, wie das war mit Jesus. Alle Christen vereint der Glaube, dass Jesus zu Gott gehört. Von Gott ist er auf die Erde gekommen und dorthin ist er auch wieder zurückgekehrt. Das gibt Christen Hoffnung. Jesus war ein Mensch wie wir und zugleich Gottes Sohn. Er bahnt uns den Weg zu Gott. Wenn Jesus in den Himmel aufgefahren ist, dann können wir auch zu Gott kommen. Durch Jesus gibt es quasi eine Verbindung von uns Menschen zu Gott, eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Christen haben die Hoffnung, dass alle Menschen bei Gott eine Heimat haben. Nichts anderes ist der Himmel, als bei Gott zu sein. Ich verbinde mit der Himmelfahrt von Jesus auch die Hoffnung: Irgendwann wird es keine Grenze mehr zwischen Himmel und Erde geben.

Wenn ich in den Himmel schaue, dann frage ich mich, was da noch kommt. Welche unendlichen weiten und riesigen Galaxien es da gibt, wie groß und unbeschreiblich das Universum ist. Ich denke an Planeten und Monde, Sternennebel und Raumschiffe. Manchmal denke ich auch an Marsmännchen und frage mich, wieviel da eigentlich ist, von dem wir noch gar nichts wissen. Das ist spannend. Da gibt es noch etwas, was wir nicht kennen und was – vielleicht – schön sein könnte, oder was uns überrascht. Also, vielleicht nicht so, wie die Marsmännchen, irgendwie größer und ernsthafter. Wenn ich in den Himmel schaue, dann bekomme ich eine Ahnung davon, was wirklich groß ist.

Ich vermute, die Sehnsucht nach dem Himmel, nach Größe und Weite hat auch die Baumeister angetrieben, die die alten Kathedralen gebaut haben. Wenn ich eine dieser großen alten Kirchen betrete, gehe ich den Mittelgang entlang. Ich bleibe stehen, lege den Kopf in den Nacken und schaue hoch in das Deckengewölbe. Dann werde ich ganz ehrfürchtig und bekomme das Gefühl, dass ich nicht alleine bin. Der Architekt und die Bauarbeiter haben dieses Gewölbe geschaffen, und darüber ist der blaue Himmel, sie erzählen mir: Da ist jemand, der sich bei allem etwas gedacht hat, der eine Welt geschaffen hat, die schön ist und der diese Welt liebt. Dann werde ich ganz hoffnungsfroh und denke mir, was auch immer da noch kommt, es wird alles gut. Hinterm Horizont geht es weiter, sozusagen.

Kirchengebäude erzählen davon. Heute an Himmelfahrt gehen viele Kirchengemeinden raus ins Freie. Sie tauschen das Deckengewölbe gegen das Blau des Himmels, die Sonne und den Wind. Sie bauen einen Tisch auf und stellen ein Kreuz darauf. Sie erinnern sich daran, dass Gott da ist, dass Jesus uns den Weg zu ihm gezeigt hat. Diese Welt ist doch eigentlich dem Himmel ganz nahe. Das ist nämlich der Clou in der Geschichte in der Bibel über die Himmelfahrt von Jesus. Jesus ist vor den Augen der Jünger verschwunden. Die Jünger starren ihm noch hinterher. Da stehen auf einmal zwei Männer in weißen Gewändern da. Die fragen die Jünger von Jesus: Was steht ihr da und guckt in den Himmel? Erinnert ihr euch nicht daran, was euch Jesus gesagt hat? Er ist bei Euch, der Himmel ist offen.

Das nehme ich als Impuls am Himmelfahrtstag heute. Man kann sehr viel Himmlisches erleben, jeden Tag. Man kann Liebe erleben und Freude. Man kann sich an den vielen Blumen freuen, an der Sonne, die scheint, und Regen, ohne den nichts wächst. Und manchmal, wenn alles verfahren und finster aussieht, dann hilft mir die Frage: Kann ich nicht trotzdem irgendwo ein Stück Himmel sehen? Dann hilft es mir, in eine Kirche zu gehen und mich daran zu erinnern: Da ist jemand, der für mich da ist, der auf mich aufpasst, der sich mit mir und meinem Leben etwas gedacht hat. Die Engel auf den Gemälden erzählen es mir, die hohen Säulen, die Sterne im Deckengewölbe, sie lassen es mich spüren: Ich kann aus der Enge herauskommen. Ich bin geborgen, weit und groß und schön kann mein Leben sein. Dem Himmel ein Stück näher. Für diese Sehnsucht und diese Kraft ist der Feiertag Christi Himmelfahrt heute da.

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