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Kleine Helden - Reinhard Mey: „Du bist ein Riese, Max“
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Kleine Helden - Reinhard Mey: „Du bist ein Riese, Max“

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden

Ich bin so froh, dass jetzt Sommerferien sind. Die Kinder haben endlich Zeit, draußen zu spielen. Manchmal ist ihnen langweilig, aber ich hab das Gefühl: meistens genießen sie es, mal wieder sorgenfrei in den Tag hinein zu leben, ohne Termine, ohne Pflichten. Ihnen geht’s gut – und das tut auch mir als Mutter gut.

Während der Schulzeit ist das leider nicht immer so. Da müssen wir für Arbeiten lernen und Hausaufgaben machen. Und ich sage bewusst „wir“, denn da macht die ganze Familie mit. Wenn wir das nicht tun würden, wäre es für meine Tochter mühsam. Dabei ist sie nicht schwer von Begriff. Sie stellt schlaue Fragen und ist sehr neugierig. Aber leider hab ich das Gefühl: sie kann diese Fähigkeiten in der Schule nicht wirklich entfalten.

Reinhard Mey, dem Liedermacher, ging das oft genauso, das erzählt er einmal bei einem seiner Livekonzerte: Als sein Sohn Max 12 Jahre alt war, ist er mit seiner Frau zur Klassenlehrerin zitiert worden. Max hatte herumgealbert und eine Torte gemalt, die schwarz war statt bunt. Die Strafe dafür war drastisch, nämlich Versetzung in die Parallelklasse. Der Vater Reinhard Mey hat das im Konzert folgendermaßen kommentiert: „Kinder müssen wirklich manchmal Riesen sein, um an so viel Pädagogik nicht zu zerbrechen.“ Und seinem Sohn hat er dieses Lied geschrieben: „Du bist ein Riese, Max“:

 

Kinder werden als Riesen geboren,
Doch mit jedem Tag, der dann erwacht,
Geht ein Stück von ihrer Kraft verloren,
Tun wir etwas, das sie kleiner macht.
Kinder versetzen so lange Berge,
Bis der Teufelskreis beginnt,
Bis sie wie wir erwachs‘ne Zwerge
Endlich so klein wie wir Großen sind!

Wir sagen oft: Kinder werden so schnell groß. Aber Reinhard Mey sagt: Sie werden viel zu schnell klein. Geboren werden sie als Riesen, als Helden.

Na klar, Kinder sind nicht nur toll. Davon kann ich auch ein Lied singen. Von Zeit zu Zeit ist das Leben mit ihnen einfach nur anstrengend und ihr Verhalten ist oft auch nicht gerade „riesig“. Und wir, die Erwachsenen, sind ja auch nicht alle Kleingeister, die nichts Besseres zu tun hätten, als wehrlose Kinder in unsere Gesellschaftsordnung hineinzupressen.

Trotzdem kann ich auch gut nachvollziehen, wovon Reinhard Mey in seinem Lied erzählt: Er hat die Erfahrung gemacht: Erwachsene tun sich in unserer leistungsorientierten Welt manchmal schwer damit, ein Kind als eine individuelle Persönlichkeit, anzusehen. Vor allem dann, wenn seine Fähigkeiten nicht zum gerade angesagten „Lehrplan“ oder „Leistungstableau“ passen.

„Du bist ein Riese, Max“: Reinhard Mey singt das nicht für seinen Sohn, weil der toller wäre als alle anderen Kinder. Sondern: Er bricht eine Lanze für den Riesen, der in jedem Kind, aber auch in jedem Erwachsenen steckt. Weil jeder Mensch besondere Fähigkeiten und Talente hat. Als Vater, der seinen Sohn liebt, sagt er Max in diesem Lied: „In dir steckt etwas ganz Großes!“ Aber ich höre es auch als Ermutigung an mich selbst:

Du bist ein Riese, Max! Sollst immer einer sein!
Großes Herz und großer Mut und nur zur Tarnung nach außen klein.
Du bist ein Riese, Max! Mit deiner Fantasie,
Auf deinen Flügeln aus Gedanken kriegen sie dich nie!

 

Kinder brauchen diese positive Bestärkung, darin sind sich die Pädagogen heute einig. Ich glaube auch: ein Kind ist nicht dazu da, um meine oder irgendjemandes Erwartungen zu erfüllen. Sondern: um immer mehr es selbst zu werden.

Wie das gehen soll? Mit Liebe natürlich. „Liebe macht dich unverletzbar wie ein Bad in Drachenblut“, singt Mey. Dem Helden Siegfried aus der Nibelungensage hat dieses Bad bekanntlich nichts genutzt. Ein Lindenblatt fiel zwischen seine Schultern, dort war er verwundbar. Liebe ist eben keine Garantie, aber trotzdem die einzige Chance, sich gegen den „Vorurteilsmief“, wie Reinhard Mey das nennt, zu wappnen – und gegen die Gräben, Mauern und Schubladen in unseren Köpfen. Denn: Wenn ich mich geliebt fühle, dann stehe ich zu mir, zu meinen Gefühlen. Dann traue ich mir selbst etwas zu und habe auch keine Angst, meine Meinung laut zu sagen, selbst wenn sie Widerspruch hervorruft. Wenn ich mich geliebt fühle, kann ich mich selbst annehmen, wie ich bin. Und erst dann kann ich wachsen. Oder besser gesagt: Ein „Riese“ bleiben:

Freiheit ist für dich durch nichts ersetzbar,
Widerspruch ist dein kostbarstes Gut.
Liebe macht dich unverletzbar
Wie ein Bad in Drachenblut.
Doch pass auf, die Freigeistfresser lauern
Eifersüchtig im Vorurteilsmief,
Ziehen Gräben und erdenken Mauern
Und Schubladen, wie Verliese so tief.

Du bist ein Riese, Max! Sollst immer einer sein!
Großes Herz und großer Mut und nur zur Tarnung nach außen klein.
Du bist ein Riese, Max! Mit deiner Fantasie,
Auf deinen Flügeln aus Gedanken kriegen sie dich nie!

So eine positive Sicht auf mich und meine Möglichkeiten: Die steckt für mich auch in meinem Glauben. „Du bist gut so, wie Du bist!“, sagt Gott. In der Bibel gibt es dazu ein wunderschönes Gebet. Da heißt es: „Du, Gott, hast mein Innerstes geschaffen, hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass ich so staunenswert und wunderbar gemacht bin.“ (Ps 139, 14).

Und von Jesus ist bekannt, dass er die Erwachsenen dazu ermutigte, zu werden wie die Kinder (Mt 18,3). Für mich bedeutet das: Denk nicht zu viel an morgen und lass dich nicht von Sorgen auffressen. Lebe viel öfter einfach in den Tag hinein, wie die Kinder in den Sommerferien. Hol dir Hilfe, wenn du nicht weiter weißt oder Angst hast. Und vor allem: Liebe vorbehaltlos!

Wenn mir das gelingen würde, wenn ich wieder mehr wie ein Kind leben würde, dann könnte ich ja tatsächlich wieder zum „Riesen“ werden.

Keine Übermacht könnte dich beugen,
Keinen Zwang wüsst‘ ich, der dich einzäunt.
Besiegen kann dich keiner, nur überzeugen.
Max, ich wäre gern dein Freund,
Wenn du morgen auf deinen Reisen
Siehst, wo die blaue Blume wächst,
Und vielleicht den Stein der Weisen
Und das versunkene Atlantis entdeckst!

 

Ich wäre gerne so ein sagenhafter Held! Wie sehr Reinhard Mey das für seinen Sohn gewollt hätte, kann ich nur erahnen. Max ist 2009 an einer Lungenentzündung erkrankt und in ein Wachkoma gefallen, aus dem er nie mehr erwacht ist. 2014 ist Max im Alter von 32 Jahren gestorben.

Trotzdem: „Du bist ein Riese, Max“ ist immer noch ein Heldenlied für mich. Es geht darin nämlich nicht darum, welche „Heldentaten“ Max leisten konnte. Es geht nur darum, wie er ist, wie er war, was ihn als Person ausgemacht hat. Auch noch im Wachkoma – denn wer weiß denn schon, wohin ihn in dieser Zeit seine „Flügel aus Gedanken“ getragen haben.

Das Lied ist eine Liebeserklärung Reinhard Meys an seinen Sohn, auch über den Tod hinaus. Mich ermutigt es, mich nicht klein kriegen zu lassen, sondern groß von mir zu denken und auf meine Möglichkeiten zu vertrauen. Ich muss keine Heldentaten vollbringen. Ein Riese bin ich, wenn ich als der Mensch lebe, als der ich von Gott gedacht und gewollt bin, frei und mutig. Ich kam als Riese auf die Welt. Und ich frage mich: Als was will ich gehen?

Du bist ein Riese, Max! Sollst immer einer sein!
Großes Herz und großer Mut und nur zur Tarnung nach außen klein.
Du bist ein Riese, Max! Mit deiner Fantasie,
Auf deinen Flügeln aus Gedanken kriegen sie dich nie!

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