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Van Goghs Freude am Leben
Bildquelle pixabay

Van Goghs Freude am Leben

Ein Beitrag von Frank Fornacon, Pastor evangelische Freikirche

Als Vincent van Goghs Vater starb, griff der Sohn zum Pinsel und malte. Er konnte nicht aufhören, bis das Gemälde fertig war. Nach einem Tag begannen die Farben zu trocknen, dann sandte er das Bild an seinem Bruder mit der Bemerkung: „Ich schicke Dir ein Stillleben mit einer offenen, gebrochen weißen, in Leder gebundenen Bibel, gesetzt gegen einen schwarzen Hintergrund, mit einem gelbbraunen Vordergrund und nur einer Spur von Zitronengelb.“ Vincent van Gogh verabschiedet sich mit diesem Bild von seinem Vater.

Der größte Teil des Bildes wird eingenommen von der großen Bibel seines Vaters. Sie wartet in düsterer Umgebung auf ihren Leser. Neben der Bibel steht ein Leuchter. Die Kerze darauf ist erloschen. So wie das Lebenslicht des Vaters verloschen war. Neben der Bibel liegt ein zerfleddertes Taschenbuch. Das gelbe Büchlein zieht das Auge des Betrachters magisch an. Die Bibel scheint ein Relikt der Vergangenheit. Das kleine Buch daneben lädt zum Lesen ein.

Man kann sogar den Titel des gelben Büchlein erkennen: Emile Zola, Die Freude am Leben. Und auch die Kapitelangabe der aufgeschlagenen Bibel kann man entziffern: Jesaja 53. Dort ist von einem leidenden Gottesknecht die Rede, einem Menschen, der von allen verkannt wird, aber am Ende für alle ein Glück ist. Im Christentum hatte man in diesem Knecht einen Hinweis auf Jesus gesehen.

Der Kontrast der beiden Bücher steht für die beiden Pole im Leben des Malers. Vincent van Gogh war als junger Mann Prediger geworden. Er wollte den verelendeten Bergarbeitern in Wallonien Hoffnung bringen. Er sprach von Jesus, und was dieser für die Menschen bedeutet. Jesus war dem jungen Vincent vertraut. Sein Vater war Pfarrer und der Sohn schien dessen Berufung zu teilen. Aber van Gogh war nicht zum Pfarrer geboren. Er musste malen. Und er sehnte sich nach dem Glück. Vater van Gogh warnte Vincent vor den Verführungen, wie sie in den Büchern Emile Zolas lauerten. In dessen Roman „Die Freude am Leben“ geht es um ein junges Mädchen, das hin und hergerissen ist zwischen Egoismus und Gier auf der einen Seite und Nächstenliebe und Barmherzigkeit auf der anderen.

Während die Bibel des Vaters darauf wartet, bald geschlossen zu werden, öffnet Zolás Roman dem jungen van Gogh den Weg in eine andere Welt. Van Gogh gab den Beruf des Predigers auf und wollte mit seinen Bildern das Leben einfangen. Es gelang ihm so gut, dass seine Werke heute zu den teuersten Bildern der Welt gehören. Vincent van Gogh starb wenige Jahre später. Er ahnte nichts vom Ruhm, den er später haben sollte.

Für mich ist das eine traurige und falsche Alternative, sich entweder für die Bibel oder für einen Roman entscheiden zu müssen. Ob der überstrenge Vater ihm den Blick verstellt hatte für die hoffnungsvollen Seiten der Bibel? Für mich gibt es auch dort „Freude am Leben“. Und das Leiden des Gerechten findet ein gutes Ende. Bei Jesaja heißt es über den Gottesknecht, „Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben“.

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