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Unterbrechungen

Unterbrechungen

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Vor ein paar Wochen kam ich morgens ins Büro und hatte mir ein paar Dinge fest vorgenommen. Nach dem ersten ‚Guten Morgen‘ zur Kollegin im Nachbarbüro kam schon der erste Anruf: Ich sollte dringend ein Schreiben beantworten, am besten noch am Vormittag. Es brauchte eine Weile, bis ich das Schreiben in der Post entdeckt hatte. Dann ließ ich den Computer hochfahren, und gleich mit der ersten E-Mail musste ich sofort eine andere Sache zu erledigen. So ging es weiter. Nach einer Stunde kam ich zurück in mein Büro und hatte noch nichts von dem geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. „Jetzt habe ich ganz vergessen, was ich alles machen wollte,“ sagte ich laut. Da antwortete meine Kollegin aus dem Nachbarzimmer: „Das ist doch manchmal das Beste, was einem passieren kann.“ Sie meinte: Manchmal ist es tatsächlich wichtiger, auf die Fragen und Aufgaben zu antworten, die sich unmittelbar stellen, als einfach nur die To Do-Liste im eigenen Kopf abzuarbeiten.

Sie hat recht, auch wenn ich es manchmal nicht wahrhaben will. Es ist gut, die Liste der eigenen Prioritäten gelassen zu nehmen und sie auf einen hinteren Platz auf den Schreibtisch zu legen, und nicht ganz nach vorn, wo sie einen nur unter Druck setzt.

Es kann auch entlasten, wenn ich mich in meinen Plänen unterbrechen lasse. Sich unterbrechen zu lassen, ist eine gute Seite von dem, was die Bibel Gehorsam nennt. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb darüber: „Die Sorge um den Zeitverlust, den eine (…) geringe und äußerliche Hilfeleistung mit sich bringt, nimmt meist die eigene Arbeit zu wichtig. Wir müssen bereit werden, uns von Gott unterbrechen zu lassen. Gott wird unsere Wege und Pläne immer wieder, ja täglich durchkreuzen, indem er uns Menschen mit ihren Ansprüchen und Bitten über den Weg schickt“ (Quelle: Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel, DBW Band 5, Seite 84; www.dietrich-bonhoeffer.net/zitat/557-ein-dienst-der-in-einer-ch/).

Familien, Städte, Länder und ganze Kontinente werden in diesen Wochen durch das grassierende Virus unterbrochen. Manchmal ist ein Aktionsplan kaum fertig, da hat sich die Lage schon wieder so verändert, dass der nächste notwendig ist. Und natürlich sind auch längerfristige Planungen unterbrochen: Kulturevents, Fußball, Bildungspläne und vieles mehr. Die vielen durchkreuzten Pläne für eine Strafe Gottes zu halten, wie es manche tun, wäre blanker Zynismus. Gott liebt jeden Menschen, und Gott will uns mit seiner Liebe auch durch die nächste Zeit begleiten. Vielleicht hat das Unterbrechen ja aber auch nicht nur negative Folgen, sondern auch ein paar hoffnungsvolle. In China zum Beispiel hatte sich die extrem hohe Klimabelastung durch die virusbedingte Rezession für kurze Zeit erholt.

Dietrich Bonhoeffer schrieb auch: „Es ist eine seltsame Tatsache, dass gerade Christen und Theologen ihre Arbeit oft für so wichtig und dringlich halten, dass sie sich darin durch nichts unterbrechen lassen wollen. Sie meinen damit Gott einen Dienst zu tun, und verachten dabei den »krummen oder doch geraden Weg« Gottes.“ Soweit Bonhoeffer.

Heute und in diesen Wochen will ich diese Herausforderung wohl annehmen: Gottes krummen und geraden Weg zu entdecken.

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