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Stille Nacht nach einem Jahr ohne Sommer
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Stille Nacht nach einem Jahr ohne Sommer

Heidrun Dörken
Ein Beitrag von Heidrun Dörken, Evangelische Pfarrerin, Senderbeauftragte für den Hessischen Rundfunk
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Stille Nacht allerseits! Dieser freche Gruß ist Buchtitel einer Sammlung schwarzhumoriger Weihnachtsgeschichten. Er nimmt Bezug auf das Lied „Stille Nacht“. Berühmt ist man eben erst, wenn man parodiert wird. Dieses Lied ist berühmt. Es ist in über 300 Sprachen und Dialekte übersetzt. Viele singen oder hören es auch heute Abend unterm Weihnachtsbaum.

Die einen lieben es, die andere hassen es

Das erfolgreichste aller Weihnachtslieder spaltet aber auch. Für die einen wird es ohne „Stille Nacht“ nicht Weihnachten. Die anderen finden das Lied kitschig und biederes Familienidyll. Bieder ist es schon deshalb, weil es in der Biedermeierzeit entstanden ist.

Entstanden in einer Nachkriegszeit

Zum ersten Mal war es vor mehr als zweihundert Jahren zu hören: Am 24. Dezember 1818 in Oberndorf im Salzburger Land. Aber bieder im Sinn von geordnet oder gar gemütlich war es damals nicht. Nach den verheerenden napoleonischen Kriegen haben die Fürsten Europa neu unter sich aufgeteilt. Sie stellten die alte royale Ordnung wieder her und unterdrückten die neuen bürgerlichen Ideen von Freiheit und Gleichheit.

Eine Stadt wird geteilt

Für Oberndorf hatte die politische Neuordnung schlimme Folgen. Oberndorf gehörte zur Stadt Laufen am Fluss Salzach. Die Stadt wurde geteilt. Laufen wurde bayrisch, Oberndorf gehörte ab sofort zu Österreich. Der Fluss Salzach wurde Grenzfluss. Die Oberndorfer waren damit von ihrer Lebensgrundlage abgeschnitten, dem Salzhandel.

Vulkanausbruch und Klimakatastrophe

Eine düstere Zeit war es sowieso, kalt und feucht. Damals konnte niemand die Ursache ergründen. Es war im wahrsten Sinne des Wortes dunkler als sonst. Es gab ein Jahr ohne Sommer (1816). Viel später fand man heraus: Vulkanausbrüche im Pazifik hatten Staubwolken verursacht. Sie verdunkelten die Sonne auf Jahre. Auf dem Erdball lag eine Art Schleier. Die Folgen waren Missernten und Hungersnöte.

Pandemien mit hohen Todesraten

Es folgten schlimme Pandemien: Typhus und sogar Pest. Man schätzt, es gab damals in Teilen Europas so hohe Todesraten, wie ich sie mir selbst nach einem Jahr mit Corona kaum vorstellen kann.

Der Liederdichter hatte eine schwere Kindheit

Deshalb höre ich „Stille Nacht“ neu. Ich verstehe: Der Liederdichter, der katholische Hilfsprediger Joseph Mohr, wünschte sich und seiner Gemeinde in düsterer Zeit einen sicheren, geborgenen und rettenden Ort. Joseph Mohr hatte auch persönlich Grund, sich Familie idyllisch zu wünschen. In der ersten Strophe geht es um Eltern, die bei ihrem schlafenden Säugling wachen. Solches Familienglück und Aufmerksamkeit hat er selbst nicht erfahren. Er war ein uneheliches Kind. Damals so ein Makel, dass Mohrs Priesterweihe in Frage stand und der Papst selbst sie genehmigen musste.

Zuversicht

In diesen Umständen ist „Stille Nacht“ entstanden. Mittendrin. Mit großer Zuversicht auf Gott. Das wird Kritiker des Liedes nicht verstummen lassen, muss es ja auch nicht.

Bekannt ist nur eine verkürzte Version

Doch um dem Lied gerecht zu werden, sollte man wissen: In den Gesangbüchern ist  nur eine verkürzte Form überliefert. Das ursprüngliche Lied hat sechs Verse. Da ist nicht nur vom „holden Knaben im lockigen Haar“ die Rede, sondern von tiefen religiösen Hoffnungen des Weihnachtsgeschehens.

Frieden den Völkern der Welt

Davon, dass sich Menschen durch Jesus als Bruder und Schwester erkennen und Frieden wird. Eine der ausgeblendeten Strophen geht so: „Stille Nacht! Heilige Nacht! Wo sich heut alle Macht väterlicher Liebe ergoss und als Bruder huldvoll umschloss Jesus die Völker der Welt.“ Gesegnete Weihnachten!

Stille Nacht steht im Evangelischen Gesangbuch mit drei Strophen Nr. 49

Stille Nacht! Fassung Autograph VII

Text: Joseph Mohr, 1816, Melodie: Franz Xaver Gruber, 1818

1.         Stille Nacht! Heilige Nacht! Alles schläft; einsam wacht Nur das traute heilige Paar. Holder Knab im lockigen Haar, Schlafe in himmlischer Ruh! Schlafe in himmlischer Ruh!

2.         Stille Nacht! Heilige Nacht! Gottes Sohn! O wie lacht Lieb´ aus deinem göttlichen Mund, Da uns schlägt die rettende Stund`. Jesus in deiner Geburt! Jesus in deiner Geburt!

3.         Stille Nacht! Heilige Nacht! Die der Welt Heil gebracht, Aus des Himmels goldenen Höhn Uns der Gnaden Fülle läßt seh´n Jesum in Menschengestalt, Jesum in Menschengestalt

4.         Stille Nacht! Heilige Nacht! Wo sich heut alle Macht Väterlicher Liebe ergoß Und als Bruder huldvoll umschloß Jesus die Völker der Welt, Jesus die Völker der Welt.

5.         Stille Nacht! Heilige Nacht! Lange schon uns bedacht, Als der Herr vom Grimme befreit, In der Väter urgrauer Zeit Aller Welt Schonung verhieß, Aller Welt Schonung verhieß.

6.         Stille Nacht! Heilige Nacht! Hirten erst kundgemacht Durch der Engel Alleluja, Tönt es laut bei Ferne und Nah: Jesus der Retter ist da! Jesus der Retter ist da!

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