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Sprit, Esprit und Inspiration
Bild: tuna oelger_pixabay

Sprit, Esprit und Inspiration

Helmut Schlegel
Ein Beitrag von Helmut Schlegel, Franziskanerpater, Exerzitienbegleiter und Geistlicher Begleiter, Frankfurt
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Eine ziemlich lange Autostrecke lag bereits hinter mir, und so habe ich mir auf einem Parkplatz ein Nickerchen gegönnt. Wieder ausgeruht, drehte ich den Zündschlüssel. Es tat sich nichts. Wieder und wieder habe ich es versucht, aber da kam nur ein müdes Tuckern. Ich muss wohl sehr ratlos vor der geöffneten Motorhaube gestanden haben, als ich hinter mir eine Stimme hörte: „Guten Tag, haben Sie keinen Sprit mehr?“ - Ich grüßte zurück und sagte: „Doch, Sprit habe ich genug, aber die Batterie ist wohl leer.“ „Oh“, lachte der Mann, er war wohl um die 40 und hatte asiatische Wurzeln, „die Batterie ist auch Sprit“. Ohne ein weiteres Wort ist er zu seinem Auto geeilt, hat ein Überbrückungskabel geholt und die beiden Fahrzeuge miteinander verbunden. Es funktionierte, ich bedankte mich und konnte ohne Störung nach Hause fahren.

Auch meine Seele braucht ihren Sprit

Sprit ist mehr als Benzin. Sprit ist Energie. Auch mein Körper braucht Sprit: die Luft, die ich atme, die Sonne, die mir ins Gesicht scheint, eine gesunde Ernährung und Ruhepausen am Wochenende und im Urlaub. Und auch meine Seele braucht ihren Sprit: das Lächeln einer Freundin, die Blumen am Geburtstag, das Buch, auf das ich mich am Abend freue, die Stille am Morgen, der Gottesdienst am Sonntag. Ich hoffe, dass ich nie denken oder sagen muss: Ich habe keinen Sprit mehr. Mein Akku ist leer.

Musik 1: Johann Sebastian Bach, Well-Tempered Clavier, Vol I, Prelude and Fugue in C minor, BWV 847: I. Prelude (Arr. for Accordion).

Im französischen Wort „Esprit“ sprüht der Geist

Was doch ein einziger Buchstabe ausmacht! Aus dem prosaischen Wort „Sprit“ wird mit einem E davor das französische „Esprit“. Auch da stecken Kraft und Energie drin, aber Esprit ist noch viel mehr: sprühender Witz, prickelnder Humor, geistreiche Sprache, künstlerische Eleganz. Nicht ohne Grund haben wir das französische Wort ausgeliehen, es ist ein Symbol für die französische Kultur geworden. Ich liebe diese Art zu denken und zu leben seit meiner Kindheit. Mein Vater Karl hat am Küchentisch oft von seiner Kriegsgefangenschaft in Frankreich erzählt. Dabei leuchteten seine Augen, und er kam ins Schwärmen. Seltsam - bei dem Wort „Kriegsgefangenschaft“ denken die meisten ja an nichts Gutes. Vielmehr an Hunger, Schwerstarbeit, Hass und Verachtung.

Wenn der Kriegsgefangene zum Freund wird

Mein Vater hatte das Glück, als Gefangener einem elsässischen Bauern zugeteilt zu werden. Der sah ihn keineswegs als Feind an, sondern als geschickten und fleißigen Mitarbeiter, nach und nach sogar als Freund. Charles, wie die Familie meinen Vater nannte, hatte nicht nur die Verantwortung über den Maschinenpark, er freundete sich auch mit der schwer behinderten Tochter Anne an und lernte mit ihr. Er genoss viel Sympathie und Vertrauen. Charles war im Grunde Familienmitglied und „sein Bauer“, wie er zu sagen pflegte, ließ ihn nach den Jahren der Gefangenschaft nur mit Bedauern nach Deutschland zurückkehren.

Der Geist der Versöhnung

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als wir - unsere Mutter und wir drei Geschwister - am Bahnhof unseren Vater erwarteten. In einem langen, grauen Mantel kam er auf uns zu, in der linken Hand einen Koffer aus Holz. Den hatte er in Ermangelung eines richtigen Koffers oder eines Rucksacks selbst gebastelt. Aus Holzlatten, die ihm die französische Familie überlassen hatte. Bis heute bewahre ich diesen Holzkoffer auf, als Erinnerungsstück an meinen Vater und als Symbol für den Geist der Versöhnung, den mein Vater in der Gefangenschaft erleben durfte. Die Franzosen sprechen vom „ésprit de réconciliation“. Vaters freundschaftliche Verbindung nach Frankreich hielt sein ganzes Leben. Im hohen Alter bestand er darauf, noch einmal „seine“ Familie im Elsass zu besuchen.

Musik 2: Johann Sebastian Bach, French Suite No. 2 in C Minor, BWV 813: II. Courante (Arr. for Accordion).

Der Grundstein für ein verlässliches Miteinander

„Viele Zungen - eine Welt“ - hr2-kultur hat sein Pfingstprogramm unter dieses Motto gestellt. Wir können trotz der Unterschiede miteinander kommunizieren. Es ist die Chance einer Welt, die immer mehr zusammenrückt. Mein Vater hat in seiner Kriegsgefangenschaft etwas von dem erlebt, was die Franzosen „Esprit de réconciliation“ nennen - Geist der Verständigung und Versöhnung. Wie durch ein Wunder wurden aus den Erzfeinden Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Freunde. Im Jahr 1963, also 18 Jahre nach Kriegsende, schlossen der französische Präsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Hier wurde der Grundstein gelegt für ein verlässliches Miteinander in allen wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik, von dem wir bis heute zehren.

Die Friedensbewegung „Pax Christi“ wurde geboren

Wer genauer hinsieht, entdeckt die geistige und geistliche Vorgeschichte dieses Freundschaftsvertrags. Der Ursprung lag in Frankreich, wo schon vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges der „Kreuzzug des Gebetes um Versöhnung“ ins Leben gerufen wurde. Die Bewegung zog Kreise, zunächst in Frankreich, dann auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern. 1946 versammelten sich im französischen Wallfahrtsort Vézelay 40.000 Menschen aus Belgien, Spanien, der Schweiz, Italien, Luxemburg, Kanada, den USA und Frankreich. Auch in Frankreich lebende deutsche Kriegsgefangene durften an dieser Wallfahrt teilnehmen. Die internationale katholische Friedensbewegung „Pax Christi“ - die internationale katholische Friedensbewegung wurde bei diesem Treffen geboren. Auf ihre Initiative hin bewegten sich später auch Deutsche und Polen aufeinander zu. Der legendäre Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt 1970 war ein äußeres Zeichen einer neuen Entspannungspolitik.

Musik 3: Johann Sebastian Bach, French Suite No. 5 in G Major, BWV 816: VI. Loure (Arr. for Accordion).

Der Heilige Geist trieb die junge christliche Gemeinde aus dem Haus

„Esprit“ - dieses Wort klingt in meinen Ohren leicht und heiter. Dagegen hört sich das deutsche Wort „Geist“ eher hölzern und weltfremd an. Auch die biblische Geschichte von Pfingsten stößt bei vielen heutigen Menschen eher auf Verwunderung und Skepsis. Da erzählt die Apostelgeschichte vom Kommen des Heiligen Geistes über die junge christliche Gemeinde. Diese hatte sich hinter dicken Mauern eingeschlossen. Plötzlich wurde sie von einem heftigen Sturm überrascht. Feuerzungen ließen sich auf ihren Köpfen nieder. Es war die Wende, das Signal zum Aufbruch. Der Heilige Geist trieb die Frauen und Männer der Jesus-Gemeinde aus dem Haus. Auf den Straßen und Plätzen Jerusalems bekannten sie sich offen und freimütig zu Jesus. Er lebt, sagten sie. Die Zuhörenden allerdings hielten sie für Spinner und Betrunkene. So ist das wohl geblieben. Für viele ist die Pfingstgeschichte der Bibel eine orientalische Erzählung mit vielen legendären Zügen.

Du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt

Mich selbst sprechen die eher nüchternen Texte der jüdischen Bibel über den Heiligen Geist stärker an. Da ist zum Beispiel der Psalm 104. Hören Sie einige Auszüge:  

„Mein Gott, überaus groß bist du! (...) Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel, du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt. Du machst die Winde zu deinen Boten, zu deinen Dienern Feuer und Flamme. Du lässt Quellen sprudeln in Bäche, sie eilen zwischen den Bergen dahin. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Pflanzen für den Ackerbau des Menschen, damit er Brot gewinnt von der Erde und Wein, der das Herz des Menschen erfreut. Du machst den Mond zum Maß für die Zeiten, die Sonne weiß, wann sie untergeht. Wie zahlreich sind deine Werke, HERR, sie alle hast du mit Weisheit gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen. (...) Verbirgst du dein Angesicht, sind sie verstört, nimmst du ihnen den Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub. Du sendest deinen Geist aus: Sie werden erschaffen und du erneuerst das Angesicht der Erde.“

Musik 4: Johann Sebastian Bach, French Suite No. 5 in G Major, BWV 816: II. Courante (Arr. for Accordion).

Inspiration zum Gedankenspiel

Inspiration - auch dieses Wort mag ich sehr. Da spüre ich das Neue, Überraschende. Ich denke an Literatur, Musik, Architektur, Wissenschaft. Ich denke an einen Albert Einstein. Er selbst hat gesagt, die Relativitätstheorie war weniger das Ergebnis ausgefallener Mathematik, sondern ein Gedankenspiel. Er habe sich überlegt: Was passiert, wenn jemand vom Dach eines Hauses fällt und im freien Fall andere Körper fallen lässt? Jedes Kind kann die Antwort geben: Der Fallende hat den Eindruck, die Gegenstände bewegen sich gar nicht, denn sie fallen ja im selben Tempo wie er. Aus diesem Gedankenspiel oder sagen wir besser: aus dieser Inspiration entstand die weltbewegende Relativitätstheorie.

Ein gemeinsames Projekt von Menschen verschiedener Kulturen

Inspiration - Ich denke da auch an die Erfinder des BioNTech-Impfstoffs gegen Corona. Özlem Türeci und Uğur Şahin kamen im Alter von vier Jahren nach Deutschland, sie die Tochter eines türkischen Arztes, er der Sohn eines Fabrikarbeiters. Nach dem Studium hatte sich das Ehepaar mit Leidenschaft der Krebstherapie verschrieben, bis die Herausforderung COVID 19 ihr Leben völlig veränderte. Von jetzt auf gleich rückte die Krebsforschung in den Hintergrund – und der Kampf gegen die Pandemie in den Fokus. Eine sehr mutige und riskante Entscheidung war das. Eine großartige Inspiration. Und auch das ein pfingstliches Zeichen: Viele Zungen - eine Welt. Wie hoffnungsvoll, wenn Menschen verschiedener Kulturen und Sprachen an einem gemeinsamen Projekt zusammenarbeiten.

Inspirationen im Kleinen spontan umsetzen

Inspiration - ich denke nicht nur an die Genies der Menschheit, die Großes geschaffen und Weichen in der Geschichte gestellt haben. Ich denke auch an die kleinen Inspirationen, die uns allen tagtäglich widerfahren. Vor ein paar Tagen habe ich in meinem Adressbuch den Namen einer Schulfreundin entdeckt, von der ich schon eine gefühlte Ewigkeit nichts mehr gehört hatte. Wie mag es ihr wohl gehen? - Ich griff zum Hörer und habe sie angerufen. Sie hatte eine solche Freude, und wir haben eine halbe Stunde lang erzählt. Ich war froh danach, nicht nur, weil es ihr gut ging, sondern weil ich die Inspiration hatte, sie anzurufen.

Der Geist Gottes wirkt in alltäglichen Dingen

Vielleicht klingt es vermessen, bei solchen Begebenheiten schon vom Heiligen Geist zu sprechen. Und doch: Ich bin überzeugt, der Geist Gottes, die heilige Ruach, wie die Bibel sagt, wirkt in alltäglichen Dingen. Und sie wirkt in jedem von uns. Sie spricht mich an in dem Buch, das ich gerade lese, im Spaziergang durch den Wald, in der überraschenden Begegnung im Supermarkt.

Musik 5:Johann Sebastian Bach,  Partita No. 1 in B-Flat Major, BWV 825: I. Praeludium (Arr. for Accordion).

Wir müssen menschengemachtes Unheil wieder in Ordnung bringen

Ich komme noch einmal auf den Vers aus dem Psalm 104 zurück. Da heißt es: „Du sendest deinen Geist aus: Sie werden erschaffen und du erneuerst das Angesicht der Erde.“ Da zucke ich zusammen: Tatsächlich wird das Gesicht der Erde täglich beschmutzt, verwundet und missbraucht.

Und trotzdem: dieses Gebet spricht mir aus der Seele: „Du sendest deinen Geist aus (...) und du erneuerst das Angesicht der Erde.“ Nein, ich glaube nicht, dass Gott mit schwungvoller Wunderhand die abgestorbenen Wälder aufforstet und die Meere von ihrem Plastikschmutz reinigt. Ich bete auch nicht darum, Gott möge den sinnlosen Kämpfen im Jemen und der Unterdrückung in Myanmar ein Ende machen. Hunger, Kriege, soziale Ungerechtigkeit - das alles ist menschengemacht. Darum ist es unsere Aufgabe, das in Ordnung zu bringen.

Dafür dürfen wir aber die heilende Geisteskraft von Gott erbitten

Was wir von Gott erbitten dürfen und was er uns zusagt, das ist die Gabe, die unheilvollen Geister zu durchschauen. Die Gabe, die göttliche Heilkraft in mir, in uns wirken zu lassen. Ich glaube an diese göttliche Inspiration, den Heiligen Esprit. Ich bitte darum, mich auf diesen Geist einlassen zu können.  

Bitte um die göttliche Inspiration im Pfingstlied von Lothar Zenetti

Der Frankfurter Dichterpfarrer Lothar Zenetti hat es in seinem Pfingstlied so ausgedrückt:

„Die Wunder von damals müssen´s nicht sein, auch nicht die Formen von gestern / nur lass uns zusammen Gemeinde sein, eins so wie Brüder und Schwestern / ja, gib uns den Geist, deinen guten Geist, mach uns zu Brüdern und Schwestern!

Auch Zungen von Feuer müssen´s nicht sein, Sprachen, die jauchzend entstehen / nur gib uns ein Wort, darin Wahrheit ist, dass wir, was recht ist, verstehen / ja, gib uns den Geist, deiner Wahrheit Geist, dass wir einander verstehen!

Ein Brausen vom Himmel muss es nicht sein, Sturm über Völkern und Ländern / nur gib uns den Atem, ein kleines Stück unserer Welt zu verändern / ja, gib uns den Geist, deinen Lebensgeist, uns und die Erde zu ändern.

Der Rausch der Verzückung muss es nicht sein, Jubel und Gestikulieren / nur gib uns ein wenig Begeisterung, dass wir den Mut nicht verlieren / ja, gib uns den Geist, deinen heil´gen Geist, dass wir den Mut nicht verlieren!“

Diese Heilige, heilende Geistkraft, den Sprit, der uns in Bewegung bringt, den Esprit der Versöhnung, die göttliche Inspiration für jeden neuen Tag, das wünsche ich Ihnen und mir. Nicht nur am Pfingstfest, sondern das ganze Jahr über.

Musik 6: Johann Sebastian Bach, French Suite No. 2 in C Minor, BWV 813: VI. Gigue (Arr. for Accordion).

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