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Sonntag der Weltmission: Frieden unter den Religionen ist möglich
Bild: Hartmut Schwarzbach/missio

Sonntag der Weltmission: Frieden unter den Religionen ist möglich

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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Alle sechs Wochen etwa bin ich bei meiner Friseurin. Das ist in der Regel ein ausgedehnter Besuch an einem Samstag, und während die Farbe einwirkt oder meine Haare einen neuen Schnitt bekommen, sind wir meist in ein angeregtes Gespräch vertieft – meine Friseurin und ich.

Wir sind beide ungefähr gleich alt und unterhalten uns über das, was gerade dran ist für uns Frauen: wie es den Kindern geht, über die Wahlen, den letzten Urlaub und meistens auch über Religion. Meine Friseurin heißt Aysun, sie ist Türkin und Muslimin und sie weiß, dass ich bei der katholischen Kirche arbeite. Sie findet das interessant, fragt viel und auch ich frage nach, wie sie ihren Glauben lebt, finde es spannend, was sie so berichtet.

Auf denselben Spuren unterwegs

Sie erzählt von ihrer Kindheit in der Türkei, von ihrem Vater, der noch dort lebt und der sie und ihre Geschwister zu selbstbewussten Menschen erzogen hat. Nein, Jungs und Mädchen, die waren bei ihr zu Hause immer gleich viel wert und gleichberechtigt. Sie ist Alevitin und gehört damit zu einer Art islamischen Konfession, die jedoch von manchen Muslimen als unislamisch angesehen wird, nicht anerkannt ist.

Ja, kann ich bestätigen, das gab es bei uns auch mal, dass die eine Konfession der anderen das Christlich-Sein abgesprochen hat, und ja, heute sprechen sogar manche Katholiken den anderen das Katholisch-Sein ab. Religion ist bis heute viel zu oft die Wurzel oder ein Anlass für Unfrieden unter den Menschen, bis hin zu Hass und blankem Terror – das weiß Aysun und auch ich. Aber wenn wir uns so miteinander unterhalten, spielt das keine Rolle, denn ich habe schon oft entdeckt: Darin, wie wir das Leben deuten, sind wir oft auf denselben Spuren unterwegs.

In diesen Dingen sind wir gleich

So durfte ich Anteil daran nehmen, wie sie die Krankheit und das Sterben ihrer Schwägerin erlebt und begleitet hat. Und ich habe ihr von der Leidensgeschichte und dem Tod meines Onkels erzählt, der mir wir ein Bruder war. Die Trauer, wie wir damit umgehen, und die Hoffnung auf ein Leben, das unzerstörbar ist, darin hatten wir viel gemeinsam.

Die Trauer miteinander teilen, darüber sprechen – das hat mir gezeigt: In diesen Dingen sind wir gleich – meine Friseurin Aysun und ich. Wir beide sind religiös, wir leben aus dem Glauben, dass wir uns und unser Leben nicht uns selbst oder dem Schicksal verdanken, sondern einem Gott, der die Menschen liebt. Während sie sich dabei an Mohammed orientiert, richte ich mein Leben nach Jesus Christus aus.
Gleichmacherei liegt mir fern. Ich möchte nicht über all die Unterschiede hinwegsehen, die es zwischen unseren Religionen gibt. Aber die spielen in unserem Miteinander alle paar Wochen keine Rolle, die sind nicht wichtig.

Das "Gemeinsame" spielt eine entscheidene Rolle

Ich bin überzeugt: Wenn das Gemeinsame wichtiger ist als die Unterschiede, wenn ich dem Gemeinsamen mehr Raum, mehr Gestaltungsspielraum in meinem Leben gebe, dann gelingt friedliches Miteinander, ohne dass ich mich selbst dafür aufgeben muss. Das gilt in den einfachen Fragen des Lebens und für das Miteinander der Religionen.

Aber ich weiß auch: Wir hier in Deutschland haben es im Normalfall vergleichsweise leicht, den Frieden unter den Religionen zu leben. An anderen Orten dieser Welt wäre ein so harmloser Friseurbesuch einer Christin bei einer Muslimin undenkbar.

Missio, eines der großen katholischen Hilfswerke, schaut heute am Sonntag der Weltmission auf einen solchen Ort: Nigeria ist das Schwerpunktland der diesjährigen Kampagne.

„Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun!“ (Galater 6,9) Dieser Bibel-Vers aus dem Brief von Paulus an die Gemeinde in Galatien ist das Motto über diesem Tag.

Die Bedeutung von "Weltmission"

Weltmission – das meint: Wir Christinnen und Christen gehören zu einer weltweiten Glaubensgemeinschaft und sind gesendet, aus dem Glauben heraus authentisch, glaubwürdig und mutig das zu leben, was wir von der Botschaft Jesu verstanden haben.

Nigeria – ein beeindruckendes Land in Westafrika, voller Gegensätze und Extreme: kulturell reich, zutiefst religiös, aber gespalten in einen hauptsächlich muslimischen Norden mit Einführung der Scharia und einen überwiegend christlich-katholischen Süden. Auseinandersetzungen zwischen den muslimischen Viehhirten und den christlichen Bauern sind an der Tagesordnung. Die radikalislamische Vereinigung Boko Haram treibt ihr Unwesen bei Muslimen wie Christen. Arbeitslosigkeit und die Coronapandemie haben die Situation der Menschen in Nigeria noch verschlimmert.

Der Einsatz für das friedliche Miteinander

Und doch gibt es dort Menschen, die ihr Leben ganz in den Dienst der Verständigung zwischen den Religionen stellen. Der Partner für das Hilfswerk Missio, Erzbischof Ignatius Kaigama aus Abuja zum Beispiel, und der Emir von Wase, Muhammadu Samo Haruna, der die höchste muslimische Autorität im Bundesland Plateau State ist. Beide setzen sich unermüdlich für das friedliche Miteinander der beiden Religionen ein – vor Ort, auf ganz praktische, alltagsnahe und überzeugende Weise. Bei dem gemeinsamen Gebet bei einer Trauerfeier zum Beispiel. Dieses Beispiel und viele andere beeindrucken immer wieder. Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun! Ein Motto, das durchaus auch zu der Art und Weise passt, wie diese beiden Würdenträger ihr Amt verstehen und ausüben.

Die Verantwortlichen von Missio haben den Erzbischof und den Emir in diesem Jahr als Gäste zum Weltmissionssonntag nach Deutschland eingeladen - um ganz anschaulich von ihrem Heimatland zu berichten. Mein Chef, Mitglied der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, durfte den beiden vor knapp zwei Wochen bei einem gemeinsamen Abendessen begegnen. Auch er war zutiefst beeindruckt von dem, was er da gehört hat, von dem, was diese beiden Männer uns hier in Deutschland vermitteln können an Haltung, an mutigem Glaubenszeugnis für eine gemeinsame Sache: den Frieden unter den Religionen.

DAS...was im Leben wirklich zählt

Klar – wenn die Partner der Hilfswerke nach Deutschland kommen, dann geht es immer auch darum, um Unterstützung zu werben für die Projekte vor Ort. Hilfe zur Selbsthilfe ist das Prinzip, das aber eben nicht ohne Unterstützung der reichen Länder auskommt. Aber Weltmission geht dabei längst nicht mehr nur in eine Richtung – das, was wir von diesen Projekten und den Menschen dort lernen können, hilft auch uns, unseren Glauben zu beleben, uns neu danach auszurichten, was im Leben wirklich zählt.

Was im Leben wirklich zählt – dazu hat mich eines der Projekte von Missio in Kaduna, im mittleren Norden Nigerias besonders beeindruckt: Über 12.000 christliche und muslimische Frauen, organisiert in 23 Frauenverbänden, haben sich 2010 im Women’s Interfaith Council zusammengeschlossen, „Mütter für den Frieden“ werden sie auch genannt, die Frauen, die sich in diesem Interreligiösen Rat vernetzt haben. Sie setzen sich ganz konkret vor Ort in den Dörfern und Stadtvierteln für ein friedliches Miteinander der Religionen ein.

Mütter für den Frieden

Viele von ihnen haben ihre Männer oder Söhne in Religionskämpfen oder bei Angriffen von Boko Haram verloren, und dennoch geben sie nicht auf. Sie geben dem Hass keinen Raum in ihrem Leben, sondern versuchen, wo immer es geht, Frieden zu bewirken. „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun!“, das ist auch ihr Motto. Nicht irgendetwas Gutes, sondern das Gute!

Und das bedeutet: Neben politisch eindeutigen Statements für ein gewaltfreies Miteinander gehört für den Frauenrat dazu, sich um Angehörige und Betroffene der Anschläge zu kümmern, Beistand zu leisten und konkret Hilfe vor Ort zu organisieren. Aber auch Prävention von Gewalt und Bildung gehören zu den Zielen der Initiative.
Schwester Veronica Onyeanisi, Elizabeth Abuk und Amina Kazaure sind drei dieser „Mütter für den Frieden“. In diesem Jahr werden sie stellvertretend für ihre Mitstreiterinnen den Aachener Friedenspreis für ihr großartiges Engagement erhalten – am 13. November wird er verliehen.

Frieden unter den Religionen ist möglich! Für diese Überzeugung leben die Frauen des Women’s Interfaith Council, die Mütter für den Frieden. Für diese Überzeugung leben Erzbischof Kaigama und der Emir von Wase. Ich glaube, beim nächsten Friseurbesuch werde ich Aysun von diesen beeindruckenden Friedensstiftern erzählen.

Linktipp: https://www.missio-hilft.de

 

 

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