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Pfingsten – Hoffnung auf weltweite Gemeinschaft
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Pfingsten – Hoffnung auf weltweite Gemeinschaft

Winfried Engel
Ein Beitrag von Winfried Engel, Katholischer Ltd. Schulamtsdirektor i. K. i. R., Fulda
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Zu den eindrucksvollsten und nachhaltigsten Erlebnissen in meinem Leben gehört ein Ereignis aus meiner Jugend. Im Alter von 16 Jahren durfte ich am Weltpfadfindertreffen teilnehmen, dem so genannten World-Jamboree, das damals in Griechenland stattfand. Es war das Jahr 1963. 14.000 Pfadfinder aus 88 Ländern der Erde hatten sich in einem riesigen Zeltlager auf dem historischen Schlachtfeld von Marathon versammelt. Ich gehörte zu den etwa 800 Pfadfindern aus Deutschland, die als das deutsche Kontingent an diesem Treffen teilnehmen durften. Mit großen Erwartungen hatten wir uns damals auf den Weg gemacht, per Bahn, Schiff und Bus. Groß war die Spannung, was uns erwarten würde. Wie würde die Begegnung mit den Jugendlichen fremder Länder sein? Wie sollte man sich verständigen? Würde es angesichts der sicher zu erwartenden Sprachprobleme überhaupt zu Begegnung und Gemeinschaftserlebnissen kommen? Und dann war es endlich soweit. Nach wenigen Tagen Vorlauf, in denen wir Athen mit seinen antiken Stätten kennen lernten, ging es dann nach Marathon, in unser Zeltlager. Jugendliche aus aller Welt waren dort, die Pfadfinderkleidung der verschiedenen Nationen bot ein buntes Bild. Von Anfang an ging man aufeinander zu, lud sich gegenseitig in das eigene Lager ein. Wir aßen zusammen, sangen Lieder – und ohne dass wir die Sprache der anderen beherrschten, verstanden wir uns. Gesten und das Sprechen mit Händen und Füßen ersetzten die Wörter. Wir wussten uns von einer Gemeinsamkeit getragen, nämlich Pfadfinder zu sein. Und das genügte. So verlebten wir eine eindrucksvolle Woche mit mehreren Höhepunkten im kleinen und im großen Miteinander. Damals bekam ich eine Ahnung von der großen Gemeinschaft, die Menschen eigentlich bilden. Es war wie ein Stück Paradies, was ich dort erleben durfte. Die Unterschiede in der Hautfarbe oder der nationalen Herkunft spielten keine Rolle, Konflikte zwischen Völkern und Nationen waren für Tage vergessen oder zumindest überdeckt. Gedanken an Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus kannten wir überhaupt nicht.

Bis heute gibt es Ereignisse, bei denen Menschen aus der ganzen Welt zu gemeinsamem Tun zusammenkommen. Die Olympischen Spiele in Tokio sollen in wenigen Wochen beginnen. Wenn das Fernsehen uns hoffentlich wieder eindrucksvolle Bilder vom Zusammentreffen der Nationen dieser Erde zu friedlichem Wettkampf zeigen wird, dann sind das Zeichen für eine große Gemeinschaft, die es doch irgendwie gibt. Bestimmt muss ich dann auch an mein Erlebnis als Pfadfinder denken. Gleichzeitig lassen gerade solche Sportereignisse aber auch spüren, dass Grenzen und Rivalitäten nicht einfach überwunden werden können. Das wird in den Wettkämpfen deutlich, wenn Athleten aus aller Welt gegeneinander um den Sieg kämpfen, manchmal stellvertretend für ihre Nationen und Völker. Jeder möchte gewinnen, und die, die zuschauen, identifizieren sich mit denen, die da kämpfen. "Wir haben gewonnen, wir sind Olympiasieger!"  Ist die Gemeinschaft aller Menschen doch nur ein schöner Traum, der nach dem Ende der Wettkämpfe wieder vorbei ist? War mein Pfadfindererlebnis letztlich auch nur ein schöner Schein?

Musik

Die Frage, warum die Menschheit nicht eine einzige große Gemeinschaft bildet, sondern in Rivalitäten und Spannungen lebt oder untereinander gar zerstritten ist, ist uralt. Der Anfang der Bibel beschäftigt sich mit solchen Urfragen der Menschheit. Das Bild vom Paradies, in dem der Mensch in Frieden, Fülle und absoluter Sorglosigkeit leben konnte, ist allgemein bekannt. Das Reden von paradiesischen Zuständen zeugt davon und spiegelt zugleich die geheime Sehnsucht nach einer heilen Welt. Weit bekannt ist auch die Erzählung vom Turmbau zu Babel, die zu den ersten Geschichten der Bibel gehört. Sie berichtet von den Nachkommen Noahs, die die große Flut überstanden hatten, und den danach entstandenen Völkern. Für unsere heutigen Vorstellungen lebten sie in einem regional kleinen Gebiet, doch nach damaligen Vorstellungen war es die ihnen bekannte Welt. "Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte", so berichtet die Bibel (Gen 11,1 – 9). Doch dann sagten die Menschen zueinander: "Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen." Nach dem Verständnis der Bibel hat Gott den Menschen Einhalt geboten, als sie begannen, ihre Grenzen zu überschreiten. Er hat die große Gemeinschaft zerstört, ihnen die Möglichkeit zur Verständigung genommen und sie in alle Welt zerstreut. Das ist nicht so leicht nachzuvollziehen, könnte sich damit doch das Bild eines Gottes verbinden, der den Menschen klein halten möchte und nur auf den Erhalt seiner Macht aus ist. Doch das ist es nicht, was die Bibel sagen will. Sie mahnt die Gottesbeziehung des Menschen an: dass er sich bewusst bleibt, Geschöpf zu sein, und dass er die Grenzen, in denen er allein sein Menschsein erfüllen kann, nicht überschreitet. Gott will den Menschen, der sich die Erde untertan macht. Er erinnert ihn jedoch daran, dass er Geschöpf ist und immer Geschöpf bleiben wird, dass er seine Türme – um in diesem Bild zu bleiben – niemals bis in den Himmel bauen kann! Gibt es aber dennoch eine Chance, die große Gemeinsamkeit zu erleben, oder müssen wir diese Hoffnung ganz aufgeben?

Musik

Die Bibel kennt nicht nur das Bild von der großen babylonischen Sprachverwirrung, sie kennt auch das Gegenteil! (Apg 2, 1-13) Am Pfingstfest, 50 Tage nach Ostern, versammelten sich in Jerusalem die Juden aus den unterschiedlichsten Ländern. Auch die Jünger Jesu hatten sich wie gewohnt versammelt. Da kam der Geist Gottes auf sie herab. Die Bibel berichtet: "Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab." Und sie gingen hinaus auf die Straße, unter die Fremden. Die Menschen, die sie hörten, hatten dafür keine Erklärung, "denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören …" Und die Bibel sagt auch, was sie da hörten: die Verkündigung von Gottes großen Taten!

Auch wenn die beiden Geschichten vom Turmbau zu Babel und dem Pfingstereignis in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehen, so sehe ich darin doch eine Botschaft: Gott will die Menschen daran erinnern, dass sie seine Geschöpfe sind, was auch bedeutet, dass er für sie da ist und sich um sie und ihr Wohlergehen sorgt. Und er will auch, dass sie ein Volk sind, dass sie Hass und Feindschaft aus ihrer Mitte verbannen und im Frieden leben. Er will, dass sie im anderen den Bruder, die Schwester sehen und dass die Würde des Menschen überall geachtet wird. Das ist auch eine Botschaft des Pfingstfestes, das Christen an diesem Wochenende feiern. Auch wenn diese unsere Welt weit entfernt ist von der großen Gemeinschaft, wie Gott sie will, so gibt es doch, davon bin ich fest überzeugt, die Sehnsucht nach Frieden und Einheit. Neben den alltäglichen Meldungen von Krieg und Gewalt gibt es nämlich auch die ungezählten Beispiele weltweiter Solidarität und gegenseitiger Hilfe – im Großen wie im Kleinen. Das lässt hoffen. Und zu diesen Hoffnungszeichen zählen für mich auch weltumspannende Ereignisse wie eine Olympiade. Auch hier scheint es, als ob die Menschen auf der ganzen Welt, wenn auch nur für kurze Zeit, eine Sprache verstehen, die des Sports; dass sie sich wenigstens für kurze Zeit als große Gemeinschaft fühlen, die friedlich miteinander wetteifert und die sich gegenseitig achtet und schätzt. Ich hoffe und wünsche, dass solche Erfahrung die weltweite Sehnsucht und die Hoffnung auf Frieden und Gemeinsamkeit nährt. Vielleicht trägt das Erlebnis der Gemeinschaft sogar dazu bei, im Fremden zuerst den Bruder oder die Schwester zu sehen. Der Geist, dessen Gegenwart uns an Pfingsten wieder bewusst gemacht wird, will dabei helfen.

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