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Nicht zu ersetzen
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Nicht zu ersetzen

Patricia Nell
Ein Beitrag von Patricia Nell, Katholische Pastoralreferentin und Religionslehrerin, Frankfurt

Wie sehr mich manches bewegt, das wird mir oft erst dann bewusst, wenn ich davon träume. So wie neulich: Es war nur eine einzige kurze Szene. Aber die hatte es in sich:

Wie gebannt starre ich auf meinen Fuß. Durch eine Verletzung hat sich die Haut abgeschürft. Aber es blutet nichts. Kein Schmerz, keine Wunde. Stattdessen sehe ich in das Innere meines Fußes. Und dabei trifft mich fast der Schlag. Kein Blut und keine Muskeln. Stattdessen ein Hohlraum voller Drähte und Verschaltungen. Und das vom Scheitel bis zur Sohle. Ich will es nicht glauben, was ich da sehe, aber es besteht überhaupt kein Zweifel: Ich bin kein Mensch, sondern: ein Roboter. Nicht geworden im Leib meiner Mutter, sondern programmiert. Nicht geboren, sondern zusammengebaut. Nicht frei, sondern gesteuert.

Schweißgebadet wache ich auf und starre in die Dunkelheit. Der Schreck sitzt mir noch im Nacken. Und diese schockierende, vermeintliche Erkenntnis: etwas anderes zu sein als ein Mensch. Was für eine Horror-Idee. Nicht die zu sein, die ich immer zu sein glaubte: Tochter meiner Eltern. Entstanden aus Liebe. Herangewachsen und in ein eigenständiges Leben entlassen. In ein Leben voller bewusster Entscheidungen. Nie ohne Risiko. Aber immer mit dem Vertrauen, dass es irgendwie gut geht. Stattdessen ein Maschinenmensch. Mit Akku und Ersatzteilen. Nein. Um nichts in der Welt will ich das sein.

Aber es gibt sie ja tatsächlich. Es gibt sie, diese Roboter, die wie Menschen aussehen und sprechen und alles Mögliche können. Und deshalb hatte ich auch diesen Traum. Weil ich mit Schülern darüber gesprochen habe. Über Roboter, die beispielsweise in Pflegeheimen eingesetzt werden. Die von Tür zu Tür gehen und an Menschen herumhantieren. Irgendwie will ich mir sowas nicht vorstellen. Viele meiner Schüler aber schon. Angehende Informatiker. Die sagen: Sie könnten mit solchen Maschinenmenschen sogar zusammenarbeiten. Und nicht nur das. Solche Roboter könnten für sie auch Freunde und Familie ersetzen. Angeblich.

Viel haben wir darüber diskutiert. Am Schluss aber kamen doch Zweifel auf. Spätestens nämlich, als ich die entscheidende Frage stellte: Würden Sie denn auch einen Roboter heiraten? Da wird es dann plötzlich ganz still. Das scheint dann wohl doch zu weit zu gehen. Irgendwo tief drinnen sitzt sie eben, die urmenschliche Erfahrung vom Geliebt-Sein. Die frühe Erinnerung an den Blick in das menschliche Antlitz, an das Getragen- und Liebkostwerden. Ganz unverdient. Einfach so. Diese Erfahrung tragen wir alle in uns. Und die Sehnsucht, all‘ das immer wieder erleben zu dürfen. Intensiv und überwältigend.

Keine noch so hochentwickelte Technik kann uns all‘ das ersetzen. Und kein noch so schweißtreibender Albtraum wird mir diese Gewissheit nehmen. Weil sie da ist, da, wie die warme Hand, die mich in der Dunkelheit zärtlich berührt, wenn mich etwas quält und aus dem Schlaf reißt. Und die mich spüren lässt: Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ich bin gehalten und geliebt.

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