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Licht und Schatten
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Licht und Schatten

Ksenija Auksutat
Ein Beitrag von Ksenija Auksutat, Evangelische Pfarrerin, Stockstadt

Gefühlt ist er schon lange da. Seit Freitag steht er auch offiziell im Kalender: der Herbstbeginn. Wenn ich jetzt einen Termin früh am Morgen habe, muss ich noch im Dunkeln mit meinem Hund Gassi gehen. Dann blinkt sein Leuchthalsband unter den Straßenlaternen. Die Sonne geht noch lange nicht auf. Und als Pfarrerin besuche ich oft abends Menschen zu Gesprächen. Wenn ich dann zur Tagesschauzeit um acht zurück nach Hause fahre, ist es fast schon wieder dunkel. So geht es vielen Berufstätigen. Und manche denken schon jetzt wehmütig an die Sommermonate zurück. Der Sonnenschein, die Wärme auf der Haut – das brauchen die meisten Menschen, auch für ihre Seele.

Kein Wunder, dass man auch im übertragenen Sinn von Licht und Helligkeit spricht, wenn man etwas gut findet. Ich sage: „Da ist mir ein Licht aufgegangen!“, wenn ich etwas verstanden habe. Im Wahlkampf vor der Bundestagswahl heute haben die Parteien versucht, sich „ins rechte Licht“ zu rücken, also ihre Kandidatinnen und Kandidaten möglichst positiv darzustellen. Und wer „Licht am Ende des Tunnels“ sieht, hat Hoffnung für den weiteren Weg gewonnen. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Und das ist auch gut so. An einem heißen Sommertag zum Beispiel sucht man den Schatten, denn er verspricht Kühle und schützt vor der sengenden Sonne.

Im übertragenen Sinn dagegen hat der Schatten eine negative Bedeutung. Wenn ich im Schatten von jemand stehe, heißt das, in den Hintergrund gedrängt worden zu sein. Es gibt Menschen, die können nicht über ihren eigenen Schatten springen, um sich auf etwas Neues einzulassen. Manches Schicksal wird von einer leidvollen Vergangenheit überschattet. Licht und Schatten sind also Gegensätze, die zum Leben gehören wie Tag und Nacht oder Sommer und Herbst. Licht und Schatten sind auch zwei Pole in jedem Menschen. 

Jeder freut sich über Lob und Anerkennung. Darum strengen sich auch die meisten Menschen an, ihre guten Seiten zu zeigen und in einem guten Licht dazustehen. Konflikte dagegen kommen oft daher wie eine dunkle Wolke. „Düster und bedrohlich“ – so wird manchmal die Stimmung beschrieben, wenn in einer Familie, unter Freunden oder in einem Team Streit herrscht. Viele können das nur ganz schlecht ertragen. Sie wünschen sich, dass die Beziehung wieder hell und freundlich wird. So, wie wenn man in einem dunklen, unwegsamen Gelände unterwegs ist, mühsam herumstolpert und dann sieht man endlich die Lichter des nächsten Ortes. Alles wird gut.

Ich kenne diesen Wunsch, dass endlich wieder Licht ins Dunkel kommen soll. Doch vom Wünschen alleine gehen die Schatten nicht weg. Zu Streitigkeiten führen oft viele ungelöste Konflikte und Probleme. Wie schaffe ich es, mit den anderen darüber zu reden? Denn zu einem Konflikt gehören meistens zwei, und jeder hat seine Sichtweise, seine Gefühle, seine Meinung. Oft hilft nur: Ich muss mich ihnen stellen und sie genauer anschauen. Was hat mich in diese Krise geführt? Warum kracht es ständig in meiner Beziehung oder in der Familie? Das liegt nicht nur daran, dass andere Fehler machen. Es hat immer auch mit mir zu tun. Wenn ich nur das Gute und das Licht zulassen kann, versuche, alles richtig zu machen, die Schuld nur bei mir – oder nur bei den anderen – zu suchen, dann kann es passieren, dass sich der Schatten breitmacht. Dann merkt man es erst, wenn es richtig düster aussieht.

Im vorigen Jahr habe ich selbst erlebt, wie es ist, sich so im Schatten zu fühlen. Überlastung und Konflikte in meiner Arbeit und zu Hause zehrten an meinen Nerven. Nachts konnte ich kaum noch schlafen, tagsüber war mir, als säße ich in einem dunklen Loch. Bis ich eines Tages zusammengebrochen bin. Ich konnte einfach nicht mehr. Aber in mir war das Gefühl: So kann ich nicht weiterleben. Ich will da raus, ich brauche Hilfe. Aber ich wusste, dass das nicht von alleine passieren würde. Ich suchte mir also therapeutische Hilfe und ging sogar für einige Wochen in eine Klinik. Dort habe ich gelernt, die dunklen Seiten in meinem Leben nicht wegzuschieben, sondern sie anzusehen, zu überdenken und zu akzeptieren. Ich habe mich mit dem Schatten angefreundet. Dabei hat mir auch mein Glaube geholfen. Denn Gott ist im Licht genauso wie im Schatten.

In der Bibel gehören Licht und Dunkelheit zusammen. Gleich am Anfang heißt es: Gott schuf das Licht aus der Finsternis. (1. Mose 1) Und im Lukas-Evangelium wird Jesus als Licht beschrieben. Das soll den Menschen erscheinen, die, wie es heißt, „sitzen in Finsternis und Schatten“. (Lukas 1,79) Der Schatten ist in der Bibel nicht nur negativ. Denn der Schatten Gottes sorgt auch für Schutz und Geborgenheit. In ihm kann man ausruhen und wieder zu Kräften kommen. Besonders in den Psalmen kann man das lesen. Da heißt es zum Beispiel: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt“, der findet neue Zuversicht. (Psalm 91,1 f.)

Eine Auszeit im Schatten. Wer in einer Krise steckt, braucht manchmal solche Schonräume, um sich erstmal auszuruhen von seinen seelischen Kämpfen. Es ist gut, sich zurückzuziehen. Zur Ruhe zu kommen. Nachzudenken. Vielleicht kann dann irgendwann die Bereitschaft wachsen, sich dem Licht wieder zu öffnen. Gott lässt ja immer noch jeden Tag die Sonne aufgehen, für jeden und jede.

Besonders gut tut das Menschen mit einer Depression. Denn der Lichtmangel im Herbst und Winter verstärkt diese Krankheit. Da ist es notwendig, aus dem Schatten zu kommen. Gerade jetzt im Herbst finde ich es wichtig, daran zu erinnern. Denn es bedeutet auch, so viel Tageslicht wie möglich abzubekommen. Und auch, sich nicht noch selbst dafür fertig zu machen, dass man in dieser Krise steckt. Sondern sich öfter in einem milden, freundlichen Licht anzusehen. Das hat mir geholfen. Die Zeit im Schatten hatte ihr Gutes. Denn ich habe nicht mehr alle meine Kraft verbraucht, um gegen meine Schatten anzukämpfen. Sondern ich konnte in dieser Zeit des Rückzugs ausruhen. Und schließlich schauen: Was ist als nächstes dran? Wer oder was hilft mir jetzt?

Am wichtigsten waren für mich andere Menschen. Menschen, die sich Zeit für mich genommen hatten, die mir zur Seite standen, die mir geholfen haben, neue Wege zu finden. Ich bekam den Mut, meine Konflikte in einem neuen Licht zu sehen und die nötigen Änderungen anzugehen. Mir war dabei ein Trost, dass Gott mir erst einmal den Schatten geschenkt hatte, in dem ich ausruhen konnte. Und dass Gott sein heilendes, wärmendes Licht leuchten lässt. Auf die Erde, in unsere Seelen und auch mir.

So ist es mit unserem Leben, glaube ich. Das ist bei Gott geborgen, mit allem, was dazugehört: die strahlenden erfolgreichen Seiten genauso wie die Sehnsüchte und Schwächen. Der Herbst mit seinen dunklen Abenden und dann die langen Winternächte können mich nicht schrecken. Ich bleibe auch im Dunkel geborgen von Gott, dem Freund meines Lebens in Licht und Schatten.

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