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Ich schaue ihn an
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Ich schaue ihn an

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg

Der kleine Jonathan ist heute Nacht zur Welt gekommen. Was eine Aufregung, was eine Freude! Sein Papa ist einer meiner besten Freunde. Wenige Stunden nach der Geburt schickt er mir ein erstes Bild des neuen Erdenbürgers auf mein Handy. Ich merke, wie mein Herz vor Freude pocht, als ich den ersten Blick auf dieses Bild des kleinen Jonathan werfe. Was für ein friedliches Geschöpf, wie glücklich er aussieht! Ich freue mich mit den Eltern. Schlagartig sind die Strapazen und Sorgen der letzten Wochen und Monate wie weggeflogen. Jeder Arzttermin bedeutete große Aufregung: Ist der Kleine gesund, ist alles in Ordnung mit ihm? Soviele Untersuchungen und Messungen! Soviele Gefahren und Ängste, Bedenken und Fragen! Heute Nacht also ist er angekommen. Alles ist gut.
„Hast Du denn ein bisschen schlafen können?“, frage ich die junge Mutter am nächsten Morgen. Ich stelle mir ihre Erschöpfung vor: Der Weg zum Krankenhaus, die Schmerzen und Mühen der Geburt. Und ich überlege, wie entspannt sie jetzt sein muss nach den zurückliegenden Monaten. „Nein, ich habe gar nicht geschlafen“, antwortet sie zu meiner Verblüffung. „Ich habe ihn die ganze Zeit angeschaut!“
Mir verschlägt es die Sprache. Dass da ein kleiner Mensch seit Monaten erwartet wird, dass er geboren werden wird, das wissen wir aus Erfahrung. Wenn er aber dann da ist, ist es vorbei mit allem Wissen, aller Vernunft. Das neue Leben ist ein Wunder. Auch für die Mutter. Vielleicht gerade für sie! „Ich habe ihn die ganze Zeit angeschaut!“ Wie wunderbar für einen Menschen, wenn er angeschaut wird. Ein Blick ohne Worte - soviel Liebe kann darin liegen! Ich muss an ein anderes Kind denken. Das ist heute auch kerngesund. Das war aber nicht immer so. Damals, als es operiert werden musste, da sind ihre Eltern über Wochen kaum eine Stunde von ihrer Seite gewichen im Krankenhaus. Alles war unwichtig geworden, Beruf und Zuhause, der Alltag. Nur das Leben und die Gesundheit des Kindes zählte. Soviel Liebe! Der Blick der Eltern, der auf dem Kind ruht. Dass da jemand ist, der mich, der jeden von uns so anschaut, sich so sorgt, so voller Liebe ist, wie eine Mutter! Wir Christen glauben: so ist Gott. Ein Gott, der sich für uns verzehrt, der will, dass es uns gut geht. Natürlich geht im Leben nicht immer alles glatt. Es gibt Krankheiten, manchmal versagen wir, wir werden auch schuldig. Und trotzdem: Gott schaut uns mit Augen der Liebe an.
Ich finde es wunderschön, einen Tag in diesem Vertrauen zu beginnen. Ein Psalm, ein mehr als zweitausend Jahre altes biblisches Gebet, bringt das in Worte. „Herr, mein Gott, wie groß bist du. / Wie zahlreich sind deine Werke. / Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, / die Erde ist voll von Deinen Geschöpfen.“

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