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Gottes Sehen ist Lieben
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Gottes Sehen ist Lieben

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Als Kind hatte ich immer die Angst, übersehen zu werden. Das kam nicht von ungefähr, immerhin war ich noch klein und hatte viele Geschwister. Eine Sorge plagte mich deshalb besonders: Nämlich ob Gott mich etwa übersehen würde. Wie sollte er meine Gebete bemerken, wo es so viele Menschen auf der Welt gibt?

Ein gemaltes Porträt schaut den Betrachte immer an, egal wo er steht

Eine Antwort darauf habe ich Jahre später bekommen. Und zwar bei einem Besuch im Museum. Bei der Betrachtung eines alten Porträts wurde uns erklärt, dass die Augen der gemalten Person die betrachtende Person anblickten, egal wo sie gerade im Raum steht. Gerade so, als seien die Augen lebendig und wanderten mit. Die Wirkung ist verblüffend und klappt bei allen Porträts, die gut gemalt sind.

Nikolaus von Kues - der Entdecker der wandernden Augen

Die Entdeckung der wandernden Augen ist nicht neu. Der erste, der sie gemacht hat, war ein Theologe aus dem 15. Jahrhundert: Er hieß Nikolaus von Kues. In seiner Abhandlung „Über das Sehen Gottes“ erklärt er an einem Christusporträt die Allgegenwart Gottes. Nikolaus von Kues erklärt: Schaut man diesem gemalten Christus in die Augen, wird man automatisch auch von ihm angeschaut. Und wer dann weitergeht, wird von diesem Blick verfolgt. Nicolaus von Kues schreibt: „Denn du, o Herr“, schaust jedes Wesen so an, dass man denken sollte, „du bist mit jedem einzelnen so, als trügest du für keinen anderen Sorge.“[1]

Der exklusive Blick Gottes

Mit einem Freund wollte ich das probieren. Wir standen im Museum vor einem Christusbild und bewegten uns dann im Raum in unterschiedliche Richtungen. Egal wohin wir  gingen,  hatte jeder den Eindruck,  der Blick sei nur ihm gefolgt,. Es schien so, als würden mich die auf dem Ölbild gemalten Augen des Christus beobachten, um ganz bei mir zu sein. Aber mein Freund auf der anderen Seite hatte genau denselben Eindruck. Er war sich sicher, dass die Augen nur ihm und nicht mir gefolgt waren. Wenn Gott mich ansieht, ist das ein persönlicher Blick, geradezu exklusiv. Er gilt mir ganz und zugleich doch auch allen anderen.

Die wandernden Augen -  ein Sinnbild für Gottes Sehen

Aber Nikolaus von Kues entdeckte dabei noch mehr. Es ging ihm nämlich nicht um den bloßen optischen Effekt. Diese scheinbar wandernden Augen sind für ihn ein Sinnbild. Denn natürlich, und das war dem logisch denkenden Theologen klar, kann niemand Gott wirklich mit den Augen sehen. Es ist ein Sinnbild, wenn wir davon sprechen, dass Gott uns anschaut und sieht. Ein schönes Bild. Es geht davon aus, dass im wirklichen Anschauen auch immer das Herz mitspielt. Nikolaus von Kues schrieb dazu: „Herr, dein Sehen ist Lieben. Und wie dein Blick sich so aufmerksam mir zuwendet, dass er sich niemals von mir kehrt, so auch deine Liebe.“[2] Ich muss also keine Angst haben, übersehen zu werden.

 


[1] Nikolaus von Kues, De visione Dei- Das Sehen Gottes. Deutsche Übersetzung von Helmut Pfeiffer, Cusanus-Institut Trier. 3. Auflage 2007, S. 14. (ISBN 978-3-7902-1562-5)

[2] Nikolaus von Kues, De visione Dei- Das Sehen Gottes. Deutsche Übersetzung von Helmut Pfeiffer, Cusanus-Institut Trier. 3. Auflage 2007, S. 16. (ISBN 978-3-7902-1562-5)        

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