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Ein Mensch wie du und ich
Ales Kartal/Pixabay

Ein Mensch wie du und ich

Claudia Sattler
Ein Beitrag von Claudia Sattler, Evangelische Pfarrerin, Herborn
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„Gehören die zwei Dosen Bier zu Ihnen“, frage ich den Mann, der an der Kasse vor mir steht. Zehn Dosen Bier hat er auf das Fließband gelegt – sonst nichts. Die beiden Dosen, auf die ich ihn anspreche, liegen an der Seite bei den Süßigkeiten. „Nein“, meint er, „so viel trinke ich auch wieder nicht!“ Ich muss lächeln. Der Mann sieht allerdings nicht so aus, als ob er oft Grund zum Lächeln hätte: dreckige Jacke, zerzauste Haare, strubbeliger Bart und vor allem seltsam gelbe Augen.

Als ich aus dem Supermarkt rauskomme, hat er auf mich gewartet. „Wollen wir uns mal unterhalten?“, fragt er. Ich zögere: „Was will der wohl von mir?“ Aber ich setze mich trotzdem neben ihn auf eine Bank in der Fußgängerzone. Mit etwas Abstand, denn er riecht nicht wirklich gut.

Der Mann heißt Klaas. Er ist obdachlos und Alkoholiker, wie er mir erzählt. Und Klaas ist ein guter Erzähler. Ich höre ihm gebannt zu. So also kann es einem auch gehen:

Klaas hat ein ganz normales Leben geführt, war verheiratet, hatte eine Wohnung und eine Arbeit. Und dann macht das Unternehmen, in dem er beschäftigt war, Pleite. Er verliert seinen Job, die Wohnung wird ihm gekündigt, seine Frau verlässt ihn und seine Freunde bleiben weg. Der Gang zum Amt fällt schwer. Er bewirbt sich, aber bekommt ständig nur Absagen. „Irgendwann wollte ich den Zirkus nicht mehr mitmachen.“ Klaas sagt das, ohne zu klagen. Er sieht durchaus seinen Anteil an dem Ganzen, zum Beispiel, dass er sich nicht hat helfen lassen.

„So schnell kann es gehen“, denke ich. Klaas ist sich nicht zu schade zu arbeiten. Er hat einfach irgendwann aufgegeben. Vielleicht hätte ich das an seiner Stelle auch getan.

Ich bin froh, dass ich es riskiert habe, mich zu ihm zu setzen. Auf dieser Bank in der Fußgängerzone habe ich mich für einen Moment Klaas nahe gefühlt.

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