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Die letzte Minute der Waschmaschine
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Die letzte Minute der Waschmaschine

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn
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Ich stehe vor der Waschmaschine und sie dreht und dreht sich, stoppt, rumort. Auf dem Display steht seit einer gefühlten Ewigkeit: Eine Minute Restlaufzeit. Was für eine ewige Minute! Dauert die immer nur so lange, wenn ich davorstehe und es ganz furchtbar eilig habe?

Eine Minute kann quälend lang sein

Es gibt ja Zeiten, da dauert eine Minute quälend lang: Wenn ich in einem Gespräch ein schwieriges Thema angeschnitten habe und ich muss abwarten, wie es weitergeht. Diese Minute ist so spannungsgeladen. Entweder ist unser Verhältnis gereinigter. Oder ich bin ausgelaugt wie Wäsche, die zu lange geschleudert wurde.

... oder viel zu kurz

Es gibt andere Momente, da wünschte ich, sie würden ewig dauern: wenn mir nach einem langen zu kalten Winter die Sonne aufs Gesicht scheint. Oder Salzkaramelleis auf der Zunge zergeht oder wenn mich mein Verlobter küsst.

Reale Zeit und gefühlte Zeit sind nicht immer deckungsgleich

Es gibt ja so Momente, da kommt es weniger an auf die Dauer. Sie berühren mich anders als die Zeit, die einfach so durchrauscht, als der Stau, den ich abwarte, oder die letzte Waschmaschinenminute. Momente mit Tiefgang liegen nicht in der Minute selbst, sondern in dem, wie ich sie empfinde.

Was mache ich mit der langen Waschmaschinenminute?

Was mache ich mit der langen Waschmaschinenminute? Von Jörg Zink, einem Theologen, habe ich in Erinnerung: Wenn er nachts nicht schlafen konnte, hat er gebetet. Für die Menschen, die ihm nah und wichtig sind. Für andere, die er nicht kennt, aber deren Not er sich vorstellen kann und die er Gott ans Herz gelegt hat.  

Gott für andere um Hilfe bitten

Ich nehme mir das zum Vorbild. Während ich vor der Waschmaschine stehe, frage ich mich: Wem geht es gerade schlecht? Wer liegt mir so am Herzen, dass ich Gott um Hilfe bitte?

Für Schülerinnen und Schüler ...

Ich sehe auf die Trommel, die mit lautem Getöse rotiert. Und denke an Schülerinnen und Schüler, für die es ein besonders herausforderndes Schuljahr war. Daran, wie sie wieder lernen, mit vielen in einem Raum zu sein, wie man nach Streit aufeinander zugeht, wie man einem Mädchen in die Augen sagt: Willst Du mit mir ... ein Eis essen?

Für die Eltern ...

Ich denke an die Eltern, die sich von der Politik vernachlässigt wissen und sich gleichzeitig fragen, ob sie für ihre Kinder das Richtige getan haben in den letzten Monaten. Ich denke an die kommenden Generationen, die darauf setzen, dass wir ihnen eine bewohnbare Welt hinterlassen. An eine Freundin denke ich, die mir im letzten Telefonat von einer neuen Beziehung erzählte.

Ich denke an sie alle und bitte Gott, dass er sie behütet. Was auch immer das genau heißen mag. Und während mir immer mehr Menschen einfallen, für die ich bitten will, hört es vor mir auf zu rotieren. Die Trommel klackt und kommt zur Ruhe.

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