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Die Gewissenskiste
Lisa Redfern/Pixabay

Die Gewissenskiste

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Bei mir zu Hause steht eine kleine Kiste. Ich nenne sie die Gewissenskiste. Sie ist golden angemalt. In der Kiste bewahre ich Geschichten von Menschen auf, die in schwierigen Situationen ihrem Gewissen treu geblieben sind. Manchmal hole ich eine Geschichte heraus. Wenn ich verzagt bin. Oder Mut brauche. Wenn ich mich vergewissern muss, dass Menschen nicht nur korrupt, verlogen und böse sind. Sondern auch aufrichtig. Solidarisch. Gut. Manchmal lege ich eine neue Geschichte hinein. Meist sind es kleine Zeitungsausschnitte. Eine dieser Geschichten aus der Gewissenskiste will ich Ihnen erzählen.

Die von Martin Porwoll. Er hat bis vor zwei Jahren in einer Apotheke in Bottrop gearbeitet. Sein Chef pantschte Mittel gegen Krebs. Tausende Menschen kamen zu Schaden. Martin Porwoll entdeckte die Pantscherei. Er dokumentierte sie, sammelte hinter dem Rücken des Chefs Beweise. Ein Vertrauensbruch? Erst einmal schon. Aber es gibt Situationen, da stellen sich die Fragen anders: Was muss ich tun, wenn ich merke, dass einer absichtlich böse handelt? Wem gegenüber bin ich verantwortlich? Dem Vorgesetzten, den geschädigten Menschen, dem Gesetz, Gott, mir selber?

Bei einer Gewissensentscheidung geht es nie um Peanuts, sondern um ernste Fragen, bei denen Gefahr im Verzug ist. Martin Porwoll hat das Tun seines Chefs angezeigt, weil Menschenleben in Gefahr waren. Weil sein Chef systematisch betrogen hat. Weil all das nicht mit der eigenen Berufsehre vereinbar war. „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ (Martin Luther) Jede Gewissensentscheidung ist eine unbedingte Entscheidung. Man trifft sie letztlich allein. Und fordert Recht mit allen persönlichen Konsequenzen.

Der pantschende Apotheker sitzt nun im Gefängnis. Porwoll war erst einmal arbeitslos. Er musste lange suchen, bis er wieder eine Stelle gefunden hat. Wer stellt jemanden ein, der Betriebsgeheimnisse verrät? Einen Whistleblower. Wer seinem Gewissen gefolgt ist, gilt als Nestbeschmutzer. Dabei tun Menschen wie Martin Porwoll, was eine Gesellschaft braucht: hinschauen, wo Betrug und Unrecht geschieht. Sich nicht wegducken, wenn Schweinereien beim Namen genannt werden müssen. Mit der ganzen Person einstehen für das Wohl aller. Dem Gewissen folgen.

Ich lege die Geschichte von Martin Porwoll wieder in meine goldene Gewissenkiste. Zu den anderen Frauen und Männern, die ihrem Gewissen treu geblieben sind in ihrem Alltag, in ihrem Beruf, zu der Zeit, in der sie gelebt haben. Manchmal bin ich versucht, die Kiste außen noch zu verzieren. Mit Worten aus dem Grundgesetz zum Beispiel: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Vielleicht wäre auch der Satz von Martin Porwolls Namensvetter für die Kiste passend, der Satz von Martin Luther: „Hier stehe ich und kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen!“

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