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Den Tod überleben - Über Trauer, Trost und Hoffnung
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Den Tod überleben - Über Trauer, Trost und Hoffnung

Dr. Dr. h.c. Volker Jung
Ein Beitrag von Dr. Dr. h.c. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt
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Viele denken heute an Menschen, die in diesem Jahr verstorben sind. Darum heißt dieser Sonntag in der evangelischen Kirche Totensonntag. Die Kirchengemeinden gestalten besondere Gottesdienste. Da werden die Namen derer verlesen, die in den vergangenen zwölf Monaten beerdigt wurden. Für die Angehörigen ist das ein bewegender Moment. Im Schutz der Kirchenmauern, gemeinsam mit der Gemeinde um sie herum geben sie ihrem Schmerz noch einmal Raum. Oft steigen dabei Bilder auf aus der Erinnerung. Bilder vom Leben, Bilder vom Sterben, Bilder vom Abschied. Bei manchen sind es viele Bilder, denn sie haben über Monate oder gar Jahre Abschied genommen, weil ihre Angehörigen einen langen Weg der Krankheit gegangen sind. Andere haben nur wenige Bilder. Die sind dann meistens erschreckend, weil ein vertrauter Mensch aus dem Leben gerissen wurde – ein Zusammenbruch ohne vorherige Anzeichen. Oder ein Unfall. Oder eine Gewalttat.

Manchmal gibt es keinen Trost

Es ist schwer, von einem Menschen Abschied zu nehmen, mit dem man sein Leben geteilt hat. Alte Ehepaare sind meistens so eng miteinander verbunden, dass der Partner, die Partnerin geradezu ein Teil von einem selbst geworden ist. Und dann bleibt einer der beiden plötzlich allein zurück. Und der oder die muss dann noch einmal einen neuen Blick nach vorne richten. Oder Eltern, die Kinder verlieren: Sie tragen den Schmerz ihr Leben lang in sich.

Für manchen Abschied gibt es hier in dieser Welt keinen Trost. Wie kann man denen beistehen, die untröstlich sind?

Musik: Johann Sebasitian Bach, Ich ruf zu Dir Herr Jesu Christ, Sinfonia Varsovia und Albrecht Mayer (Oboe)

Trauer hat viele Gesichter

Wie kann man denen beistehen, die untröstlich sind? Den Betroffenen tut es gut, wenn die Menschen um sie herum an ihrer Trauer Anteil nehmen und sie verständnisvoll begleiten. Dazu gehört, genau hinzuschauen. Denn die Trauer hat viele Gesichter und ganz verschiedene Stimmungen. Jeder Mensch stirbt anders. Jede Hinterbliebene trauert anders. Jeder Trauernde sucht seinen eigenen Weg. Manchmal tut es den Trauernden gut, in Gesellschaft zu sein, sich in einer Gemeinschaft geborgen zu wissen. Ein anderes Mal wollen sie lieber in ihrer Trauer ganz allein sein. Deshalb: Trauernde gut zu begleiten, ist gar nicht so einfach.

Besser als gutgemeinte Ratschläge

Darauf macht die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in diesen Wochen aufmerksam. An vielen kirchlichen Gebäuden hängen große Banner oder Plakate. Darauf ist eine rote Rose zu sehen. Symbol der Liebe. Aber auch ein Symbol des Schmerzes. Auf den Plakaten hängt die Rose mit dem Kopf nach unten – als Zeichen der Trauer. Daneben stehen die Worte: „Trauer mit mir“. Das ist zugleich der Name der Website für diese Aktion: Unter „Trauer mit mir“ kann man viel Hilfreiches über das Trauern finden.

Trauer braucht vor allem Zeit und einen aufmerksamen Blick. Oft hilft eine offene Frage: „Was kann ich für dich tun?“ Das ist besser als gutgemeinte Ratschläge wie: „Du solltest wieder mehr unter Menschen gehen.“ Oder „Kopf hoch!“ Oder: „Das wird schon wieder.“ Solche Sätze mögen helfen, das Unbehagen der Umstehenden wegzuwischen. Den Trauernden selbst tun sie eher weh, denn darin spüren sie: „Meine Trauer ist anderen unangenehm. Und damit bin ich selbst anderen unangenehm. Sie wollen mir meine Trauer nehmen, aber ich lasse sie mir nicht nehmen.“

Was ist, wenn Bitterkeit bleibt?

Wer also Trauernde liebevoll begleiten will, lässt die Trauernden trauern, wie sie es wollen und brauchen. Dazu gehört, die eigene Unsicherheit und die eigene Ohnmacht auszuhalten. Denn manchmal kann man nichts anderes tun, als einfach da zu sein. Das kann sogar bedeuten zu akzeptieren, dass mancher Schmerz immer bleibt. Es gibt Bitterkeit, die nicht vergeht. Oder das Gefühl, etwas versäumt zu haben, kann einen ein Leben lang begleiten.

Mir hilft es dann, den Blick auf Gott zu richten. Gott kann ich bitten: Nimm meinen Schmerz, meine Bitterkeit, das, was ich versäumt habe, in deine Hände. Lass den Menschen, um den ich trauere, bei dir, Gott, geborgen sein.

Musik: Heirich Schütz / Chris Woods, Von Gott will ich nicht lassen, Eurobrass

Über den Tod hinaus

Der heutige Tag trägt im Kalender der evangelischen Kirche zwei Namen. Der eine ist „Totensonntag“. Der andere lautet „Ewigkeitssonntag“. Dieser Name weist über den Tod hinaus. Er deutet auf eine große Hoffnung. Angesichts des Todes braucht es Bilder der Hoffnung. Davon bin ich überzeugt. Und die Bibel hat solche Bilder der Hoffnung.

Ich bin dankbar für die Worte und Visionen der Bibel, die über den Tod hinausgehen. Ich spüre, dass sie Kraft haben und trösten können – besonders in ganz schweren Momenten.

Besonders stark sind die Worte aus der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel. Johannes gilt als ein Seher, weil er Gedanken und Zukunfts-Bilder aufgeschrieben hat. Gewidmet hat er sie christlichen Gemeinden seiner Zeit, die in einer schwierigen Lage waren. Die Christen damals waren angefeindet und bedroht. Diesen Menschen will Johannes Mut machen durchzuhalten, festzuhalten an Gott – mit Bildern der Hoffnung vor Augen. Johannes schreibt:

Bilder der Hoffnung in der Offenbarung des Johannes

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid und Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“ (Offenbarung 21,1.3-4.5a)

Diese Bilder finde ich so stark, dass ich ihnen noch einmal einzeln nachgehen möchte.

Weine deine Tränen!

„Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“

Dieser Satz geht davon aus, dass Tränen fließen. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Viele haben Angst vor dem Weinen. Sie schämen sich ihrer Tränen. Tränen gelten als Zeichen der Schwäche. Eine Blöße, die sich manche nicht geben wollen.

Doch Tränen machen stark. Ja – Weinen ist anstrengend. Und manchmal scheint es so, als würden die Tränen niemals aufhören zu fließen. Doch irgendwann hören sie wieder auf. Und neue Kraft steigt in einem auf.

Gott wird die Tränen abwischen, das bedeutet auch: „Weine deine Tränen!“ Trauer braucht Tränen. Deshalb kann es für Trauernde besonders schlimm sein, wenn sie merken, dass ihre Tränen unangemessenes Mitleid erregen: „Och je, wein´ doch nicht!“ Oder schlicht nicht willkommen sind: „Hör auf zu weinen!“ Oder sogar Ablehnung erfahren: „Ich kann deine Tränen nicht mehr sehen.“

Die Worte der Bibel sprechen von dem Vertrauen: Gott kann die Tränen abwischen. Der Seher Johannes hofft nicht nur, dass das Trauern eines Tages vorbei sein wird. Er hat eine noch größere, positive Hoffnung.

Musik: Johann Sebastian Bach, Jesu bleibet meine Freude, The English Concert mit Albrecht Mayer (Oboe)

Eine Welt ohne Chaos

Der Seher Johannes sagt, dass Gott alle Tränen abwischen wird. Dabei hat er eine Vision vor Augen:

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.

Johannes malt ein großes Hoffnungsbild: eine Welt ohne dunkle Chaosmächte. Damals wurde das Meer als eine Chaosmacht gesehen, denn über das Meer kamen die Feinde. Und wer schon einmal einen Sturm auf dem Meer erlebt hat, weiß, wie gefährlich die Wellen sein können.

Das Chaos ist nicht mehr. Die neue Welt ist eine Welt ganz bei Gott. In ihr verschmelzen Himmel und Erde miteinander. Die alte Welt ist vergangen. Für Trauernde heißt das: Auch das Chaos der Trauer, in dem man untergehen kann, wird dann nicht mehr sein. Auch die Angst um die Verstorbenen und um das eigene Leben ist dann vergangen. Denn:

„Auch der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid und Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“

Ein Ort der Gerechtigkeit jenseits des Todes

Johannes sieht eine Welt ohne Gewalt, ohne Schmerzen, ohne Leiden, ohne Tod. Gott selbst tröstet. Das heißt auch: Gott sorgt für Gerechtigkeit. Die Opfer dieser Welt werden ins Recht gesetzt. Johannes sagt nicht, wie Gott das macht. Und wann das geschieht. Aber er verspricht: Es wird Gerechtigkeit geben.

Bei Gott gibt es ein Leben jenseits der Grenze des Todes. Bei Gott ist es gut zu sein. Darauf hoffen zu können, kann trösten, ja sogar durch eine verzweifelte Situation hindurchtragen. Ich denke dabei an den achtjährigen Jungen, der im Sommer dieses Jahres starb, weil ein Mann ihn im Frankfurter Hauptbahnhof vor einen Zug gestoßen hat.

Mich hat sehr bewegt, wie Menschen dort um den Jungen getrauert haben. An dem Gleis standen viele Kerzen. Ein Junge hatte auf ein weißes Blatt geschrieben: „Ich bin auch acht Jahre. Ich habe dich nicht gekannt. Aber ich hoffe, dass es dir jetzt gutgeht.“ Was der Junge da – vielleicht ganz instinktiv – aufnimmt, ist das alte Hoffnungsbild der Bibel. Jenseits des Todes ist ein Ort, wo es gut ist zu sein: ein neuer Himmel, eine neue Erde, wo die Menschen dem Leid entrissen und bei Gott sind. Dort geht es ihnen gut. In dieser Welt sind Gott und die Menschen nah beieinander, ja: sie wohnen sogar zusammen. So sagt Johannes:

Die Hütte Gottes

Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.

Die Hütte Gottes bei den Menschen. Damit spielt Johannes auf Jesus Christus an. Denn in Jesus Christus hat Gott bei den Menschen schon Wohnung genommen. Und in Jesus hat Gott gezeigt, dass die Hoffnung über den Tod hinausreicht.

Denn als Jesus am Kreuz starb, da hat Gott seinen Sohn Jesus Christus nicht im Tod gelassen. Er weckte ihn auf zu einem neuen Leben. Auferstehung bedeutet nicht, dass Jesus einfach wieder lebendig wurde und alles wieder so war wie vorher.

Auferstehung: Das ist neues Leben, verwandeltes Leben nach dem Tod. So wie die Schale einer Nuss. Der sieht man nicht an, wie viel Leben in ihr steckt, dass aus ihr ein ganzer Baum wachsen kann. So versuche ich mir das neue, verwandelte Leben nach dem Tod vorzustellen.

Das ist eine Hoffnung für alle Menschen. Davon ist der Seher Johannes überzeugt. Gottes Schöpferkraft ist stärker als der Tod. Gott, der Jesus ins Leben ruft, holt auch Menschen heraus aus der Nacht des Todes. Es ist eine Hoffnung, die Gott Menschen ins Herz legt. Sie übersteigt alles, was wir uns auf dieser Erde vorstellen können. Kann das trösten? Also nicht vertrösten, sondern wirklich trösten?

Musik: Gabriel Fauré, In Paradisum aus Requiem, BBC Philharmonic unter Yuri Torchinsky

Unbeantwortete Fragen vor Gott bringen

Der christliche Glaube hat angesichts des Todes eine große Hoffnung: Menschen haben es nach dem Tod gut bei Gott. Dieser Glaube, diese Hoffnung nimmt die Härte des Abschieds nicht einfach weg. Wer einen Menschen verabschieden muss, erlebt den Schmerz: Alles Bisherige ist unwiederbringlich vorbei. Was bleibt, sind die Erinnerungen, Gedanken an wertvolle Momente und gute Zeiten des Lebens.

Erinnerung kann Kraft geben. Und sie macht oft dankbar für das, was war. Aber sie macht eben auch traurig, dass es nicht mehr so ist. Und manches bleibt im Rückblick auf ein Leben auch unklar, vielleicht sogar dunkel und unversöhnt. Nicht selten bleibt ein großes Warum, auf das es keine Antwort gibt.

Selbst die Hoffnung, nach dem Tod bei Gott zu sein, beantwortet diese Fragen nicht. Aber sie deutet immerhin auf einen Adressaten, dem man sie stellen kann. Die ungelösten Fragen an Gott richten und Gott bitten, dass alles gut werden möge. Das kann trösten, wirklich trösten.

Vertröstung auf das Jenseits oder Lebenshilfe?

Manche schauen von außen auf den christlichen Glauben und kritisieren: Glauben und gerade die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod vertröste die Menschen bloß und hindere sie daran, sich hier um ein besseres Leben zu kümmern.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Manche Fragen, manche Klagen an Gott zurückgeben zu können, macht frei, sich dem Leben zuzuwenden. Wer Trost erlebt, kann den Blick wieder öffnen für das Leben hier und jetzt. Wenn die Bibel von der Hoffnung spricht, die über dieses Leben hinausgeht, dann geht es nicht darum, Menschen einfach auf ein besseres Jenseits zu vertrösten. Im Gegenteil: Im Blick auf den neuen Himmel und die neue Erde bei Gott liegt die Kraft, sich der heutigen Erde zuzuwenden.

Das ist ein ganz zentraler Punkt der biblischen Botschaft. Gott ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes. Der Glaube ermutigt: Bleib nicht hängen in der Trauer. Schau auf das, was Gott hier und jetzt an Gutem schenkt! Das lässt sich auch so sagen: Gerade die Hoffnung, die über dieses Leben hinausgeht, macht frei und gibt Kraft, das Leben im Hier und Jetzt gut zu gestalten.

Für die, die die Hoffnung verloren haben

Diese Kraftquelle ist nicht nur für Menschen da, die durch das dunkle Tal der Trauer und der Tränen gehen. Sie ist da für die ganze Welt. Das ist gerade heute wichtig, wo die Sorgen um die Erde so groß geworden sind. Angesichts der enormen ökologischen Herausforderungen und der politischen Entwicklungen geben viele Menschen nicht mehr viel auf die Zukunft. Klimawandel – sowieso nicht mehr aufzuhalten. Frieden – erstickt von den Kriegstreibern.

Denen, die die Hoffnung verloren haben, treten die Hoffnungsbilder des Johannes entgegen. Sie besagen: Gott lässt seine Menschen und seine Welt nicht los. Gottes Schöpferkraft reicht über den Tod und über diese Welt hinaus.

Daran glaubt Johannes: dass Gott ein Gott des Lebens ist. Diese Hoffnung besagt auch: Das Leben ist unendlich wertvoll. Darum kommt es darauf an, wie die Menschheit hier und jetzt damit umgeht – mit jedem Menschenleben, mit allem Leben auf der Erde. Die Hoffnung verbindet mit Gott. Und Gott legt uns ans Herz, was er schenkt: das Leben und eine wunderbare Welt.

Musik: Johann Sebastian Bach, Was Gott tut das ist wohlgetan, The English Concert und Albrecht Mayer (Oboe)

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