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Das Albatros-Spiel
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Das Albatros-Spiel

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin
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Eine gutaussehende Dame, schon etwas älter, betritt das Restaurant. Ein deutlich jüngerer Mann unterhält sich angeregt mit ihr, umarmt sie herzlich. Unwillkürlich schießt mir der Gedanke durch den Kopf: „Wo hat diese Frau den Mann her?“ Die  Frage: „Gehört sich das?“ folgt auf dem Fuße. Das Paar nimmt am Nebentisch Platz. Sie unterhalten sich so laut, dass es gut zu verstehen ist. Dem Gespräch nach handelt es sich um Mutter und Sohn. Peinlich – für mich. Pfeilschnell geurteilt, aber völlig falsch. Dabei kenne ich doch das Albatros-Spiel.

Der Schein kann trügen

Das geht so: Ein Mann kommt in einen Raum, weit dahinter folgt eine Frau. Der Mann setzt sich auf einen Stuhl, sie kniet zu seinen Füßen. Sie reicht ihm eine Schale mit Erdnüssen, er isst einige Nüsse, dann greift auch sie zu. Bevor die beiden wieder gehen, drückt er ihren Oberkörper mit der Hand drei Mal zu Boden. 

In der Regel bewerten Zuschauer die Szene so: Die Frau ist benachteiligt. Das erkennt man an ihrer Position im Raum, hinter dem Mann, dann auf dem Boden. Am zeitlichen Handlungsablauf - erst kommt er, dann sie, erst isst er, dann sie. Das spiegelt sich auch in der Körperhaltung der Frau: Sie kniet und beugt sich. Zum Schluss drückt der Mann sie nieder.

Vorurteile täuschen

Ist es auch so? Nein! Dieser Handlungsrahmen entstammt dem Albatros-Spiel. Da geht es um Vorurteile. In der fiktiven Albatros-Kultur sind Frauen heilig, die Erde auch. Der Mann geht vor der Frau, um sie vor Gefahren zu schützen. Er darf nicht auf der heiligen Erde sitzen. Dieses Privileg ist Frauen vorbehalten. Er darf nur essen, wenn die Frau ihm Nahrung reicht. Er stellt damit zugleich für sie sicher, dass das Essen bekömmlich ist. Und es gibt nur eine Möglichkeit für ihn, die heilige Kraft der Erde zu spüren: Er legt seine Hand auf ihren Rücken, wenn sie mit der Stirn die Erde berührt.

Es kann eben immer alles auch ganz anders sein.

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