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Älter zu werden ist ein Geschenk
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Älter zu werden ist ein Geschenk

Ein Beitrag von Janine Knoop-Bauer, Evangelische Pfarrerin, Darmstadt

Wie jeden Morgen nach dem Frühstück der Gang ins Bad. Duschen, Anziehen und dann noch ein letzter kritischer Blick in den Spiegel. Ist da etwa wieder ein graues Haar mehr? Und die Falten um den Mund werden auch immer deutlicher. Und erst die Zornesfalte auf der Stirn! Ich sollte mich eindeutig weniger ärgern! Oder mir einen Pony wachsen lassen, um die Falte zu kaschieren.

Und schon habe ich schlechte Laune. Es ist nicht leicht, das Älterwerden zu verkraften. Die Veränderungen im Gesicht und am Körper wahrzunehmen und gelassen zu bleiben. In den Medien werden wir mit einem Schönheitsideal ewiger Jugend konfrontiert. Die Models, die für Kosmetikprodukte werben, werden immer jünger. Und selbst wenn man sich für ältere Modells entscheidet, dann wirken sie jung und auffallend faltenfrei. Es ist schwer, sich dem zu entziehen. Selbst wenn ich weiß, wieviel auf den Bildern getrickst wird. Es geht nicht spurlos an mir vorbei, und oft fühle ich mich dadurch selbst in Frage gestellt.

Im Alten Testament, im dritten Buch Mose, habe ich einen schönen Satz gefunden. Dort steht: „In Gegenwart einer grauhaarigen Person stehe auf und erweise dem Angesicht eines alten Menschen Ehre.“ Ich habe immer gedacht: der Satz bezieht sich auf den Umgang der jungen Menschen mit den Alten. Ich dachte es ginge darum älteren Menschen mit Respekt zu begegnen. Und ursprünglich ist der Satz auch so gemeint. Er dient dem Schutz der Alten. Das Gebot soll sicherstellen, dass ältere Menschen in der Gesellschaft einen festen Ort haben. Und die Jungen sollen erkennen, wie wertvoll die Erfahrung der Alten für die Gemeinschaft ist.

Aber angesichts des allmorgendlichen Spiegeltribunals überlege ich, ob man das nicht auch anders verstehen kann. Was wäre, wenn sich die Aufforderung zu einem respektvollen Umgang mit dem Alter auf den Umgang mit sich selbst beziehen würde? Heißt es nicht: Erweise dem Angesicht eines älter werdenden Menschen Ehre?

Wenn ich das in Bezug auf mich selbst beherzigen würde, dann würde der Blick in den Spiegel vielleicht ganz anders ablaufen: Kein Entsetzen mehr beim Anblick grauer Haare, sondern vielleicht eher ein Gefühl der Dankbarkeit. Denn sie sind doch auch ein Segen: Jedes graue Haar erinnert mich daran, wie lange ich schon auf der Welt sein darf. Ich habe das Glück das Alter der grauen Haare zu erreichen. Viele Menschen haben dieses Privileg nicht. Und auch die Falten würde ich vielleicht nicht mehr kritisch glattstreichen, sondern ehrfürchtig darüber staunen. Denn jede dieser Falten erzählt doch eine Geschichte, die mein Leben schrieb. Diese Spuren in der Landschaft meines Gesichtes: Sie zeugen von überstandenem Kummer und vergangenen Ängsten. Aber sie erzählen auch von ganz viel Lachen und Freude. So gesehen sind graue Haare kein Grund sich zu schämen und Falten kein Grund zur Gram.

Ich habe mir den Satz aus dem dritten Buch Mose abgeschrieben und an meinen Spiegel geklemmt. Wenn ich nun morgens dort hineinschaue versuche ich, ein wenig freundlicher zu mir selbst zu sein. Und wenn es mir gelingt mein eigenes Älterwerden zu respektieren und darin einen Reichtum zu entdecken, dann gelingt mir das auch bei anderen leichter. Davon bin ich überzeugt.

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