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Spaziergänge am Abend

Spaziergänge am Abend

Jochen Straub
Ein Beitrag von Jochen Straub, Seelsorge für Menschen mit Behinderung im Bistum Limburg
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Ich liebe Spaziergänge am Abend. Besonders nach Tagen, an denen ich viel gesessen habe, gehen meine Frau und ich abends gerne noch einmal eine Runde spazieren. Einer unserer Wege führt durch ein Neubaugebiet. In den letzten Jahren sind dort viele Häuser entstanden, und es gibt nur noch wenige freie Bauplätze. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell die Häuser entstehen und wie schnell dann die Außenanlage fertiggestellt ist. Viele der Häuser haben einen Zaun als Abgrenzung zur Straße. Manche haben sogar eine richtige Mauer, hoch und als Blickschutz. Diese Zäune und Mauern sind für mich ein Merkmal dieses Neubaugebietes. Und ich sehe oft große zugepflasterte Flächen oder perfekt gestaltete Anlagen, die meist aus Steinen bestehen und aus wenig Pflanzen.

Blickgeschützt und pflegeleicht – so scheint das Motto zu sein. Und irgendwie bin ich ja oft auch so: Oft habe ich eine Fassade mit Mauern: Ich versuche den Blick in mein Inneres zu schützen mit einer Fassade, die sicherlich auch manchmal hilfreich ist? Ich versuche meine Ecken und Kanten und meine Emotionen manchmal für die Umwelt pflegeleicht zu halten.

Ein ganz anderes Motto hat mir ein lieber Kollege in einem Gespräch gesagt. Es lautet: Die Blumen machen den Garten. Nicht der Zaun. Das hat mich angeregt. Dieser Satz lenkt meinen Blick auf das Leben, das in diesem Garten ist. Auf das, was wächst, auf das, was blüht, auf das, was den Garten schön macht.

Ich versuche seitdem, Menschen mehr von meinem Lebendigen im Inneren zu öffnen und meine Gefühle zu teilen. Ich zeige mehr, was in mir blüht, was in mir wächst. Auch wenn da manchmal eine Distel dabei ist, etwas Stacheliges, was für andere vielleicht manchmal nicht so angenehm ist. Und, wenn ich nach Hause komme, gehe ich in den Garten, schaue auf meinen Zaun, den auch ich vor dem Haus habe. Und dann gehe ich zu den Blumen. Manchmal rieche ich daran, manchmal pflücke ich eine für unser Wohnzimmer, denn ich weiß es: die Blumen machen den Garten, nicht der Zaun.

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