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Der Begründer der religiösen Toleranz
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Der Begründer der religiösen Toleranz

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Foto: Gedenktafel für Sebastian Castellio an der St. Alban-Kirche in Basel (2016 angebracht)

Sebastian Castellio ist ein Vorbild

Als Student hatte ich in meinem Zimmer eine kleine Galerie gestaltet. Mit Bildern an der Wand sollte sie bedeutende Menschen zeigen, jene, die für mich als Vorbilder in Frage kamen. So wie man sich als junger Mensch eben Idole wünscht. Die Ausführung dieser Idee kam irgendwann ins Stocken, weil ich zu wenig Bilder fand. Aber einige Porträts waren in meiner Galerie schon versammelt.

Vorreiter der Toleranz

Einer davon ist mir bis heute wichtig, er heißt Sebastian Castellio. Den Namen kennt wahrscheinlich kaum jemand. Aber er ist wichtig, denn Castellio ist gewissermaßen der Vorreiter der religiösen Toleranz. Also jener Eigenschaft, die wir auch heute besonders dringend brauchen. Dieser Gelehrte hatte nicht nur die Bibel übersetzt. Darüber hinaus wurde er unfreiwillig zum Kronzeugen der Glaubensfreiheit.

Erst Freund, dann Feind von Johannes Calvin

Als Freund des Reformators Johannes Calvin erlebte er die Reformation in Basel hautnah. Es kam jedoch zum Bruch als Calvin einen anderen Theologen nach einem Gottesdienst verhaften hieß. Dieser hatte ungewöhnliche Ansichten zur Trinität, zu der Lehre, dass Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist dreieinig ist. Der besagte Theologe wurde, so wörtlich, wegen "abscheulicher Irrlehren" verurteilt und lebendig verbrannt.

Über den Glauben kann nur Gott urteilen

Über diesen Prozess war Sebastian Castellio dermaßen empört, dass er ein Traktat schrieb mit dem Titel „Ob Häretiker zu verfolgen sind“. Häretiker nannte man diejenigen, die von der offiziellen Kirchenlehre abwichen. In dieser Schrift verurteilt er das Vorgehen Calvins. Und er formulierte dabei den entscheidenden Satz, von dem er niemals wieder abrücken wollte: "Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten". Immer wieder mahnte er seine evangelischen Brüder mit diesem Satz. Denn darin war er sich sicher: Kein Gericht könne feststellen, wer in seinem Glauben richtigliege, allein Gott werde das entscheiden.

Angeklagt wegen Gotteslästerung

Die Schriften von Castellio durften damals nicht gedruckt werden. Er wurde zuerst als Wirrkopf abgetan, dann selbst wegen Gotteslästerung angeklagt. Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht, weil er vor Ende des Prozesses starb, erst 48 Jahre alt. Seine Verteidigungsschrift "Die Kunst des Zweifelns und Glaubens" blieb unvollendet.

Nicht nur Opfer, auch Täter bei den Protestanten

Sebastian Castellio bleibt mir ein Vorbild. Zum einen halte ich mir selbst damit vor Augen, in welchem Maße auch die evangelische Seite des Christentums nicht frei ist von engstirnigen Glaubensverfolgungen. Auch evangelische Christen haben Scheiterhaufen errichtet und sogenannte Ketzer verfolgt. Dafür schäme ich mich.

Auch heute: Keinen Menschen schmähen

Zum anderen schaue ich aber in Ehrfurcht auf diesen Menschen, der schon im 16. Jahrhundert so konsequent für religiöse Toleranz eingetreten ist. Sein Appell, kein Urteil über jene zu fällen, die andere Glaubensvorstellungen haben, ist aktueller denn je. Es muss dabei nicht immer um Leben und Tod gehen; für mich bedeutet es zugleich: Einen Menschen schmähen heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen schmähen.

 

Sebastian Castellio wird zitiert nach Uwe Plath, Sebastian Castellio. Humanistische Porträts Bd. 3. Würzburg 2020, S. 41 

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