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Mainrunden
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Mainrunden

Andrea Weitzel
Ein Beitrag von Andrea Weitzel, Katholische Schulseelsorgerin und Religionslehrerin, Hanau
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Ich mag den Main: Mal fließt er dunkel und ruhig vor sich hin, mal wird er von starkem Regen aufgewühlt oder wirft Wellen, sobald ein Containerschiff ihn durchfurcht. Mal steigt wabernder Nebel auf, einmal sah ich sogar Eisschollen auf ihm treiben. Zuletzt trat der Main als schlammige Brühe über seine Ufer. Am liebsten aber mag ich ihn, wenn er im Sonnenlicht glitzert und funkelt.

So ist der Main immer in Bewegung und zeigt neue Gesichter. Diese betrachte ich gern während meiner sogenannten Mainrunden. Wenn jemand in meinem Wohnort sagt, er oder sie nähme die Mainrunde, dann ist klar: Es geht über die zwei nahegelegenen Brücken eine Runde "um den Main". Dann ist man etwa eine Stunde unterwegs, hat den Main zweimal überquert.

Während des vergangenen Jahres habe ich so viele Mainrunden wie noch nie gedreht. Sie sind mein fester Anker geworden. Einfach mal raus. Meistens habe ich eine Freundin an meiner Seite.

Wir haben auf unseren Mainrunden schon vieles erlebt und besprochen: Tiefsinnige Gespräche über das Leben als solches waren das. Oder ein Austausch darüber, was uns gerade beschäftigt. So bekomme ich einen neuen Blickwinkel und mein Leben sortiert sich neu. Am Main teilen wir Freud und Leid ebenso miteinander wie plötzlich einsetzenden Gewitterregen und die manchmal nur schwer auszuhaltende Hitze im Sommer.

Ich mag es sehr, wenn mir auf meiner Mainrunde Menschen begegnen, die ich lange nicht gesehen habe. Anhalten, ein Lächeln, ein kurzes oder etwas längeres Gespräch und dann geht es weiter auf dem je eigenen Weg.

Und jetzt, im Frühjahr, erlebe ich von Woche zu Woche ein Stück mehr, wie Knospen aufbrechen und frisches Grün sich seinen Weg bahnt. Ja, kleine Zeichen der Hoffnung, des Aufbruchs sind das.

Mit den ersten Sonnenstrahlen wird es am Main sofort wieder voller – manchmal wird es direkt eng. Fast zu eng. Dann kommt es hier und dort zu einem wahren Gerangel zwischen Fahrrädern, Kinderwägen, Hunden und Füßen. Manchmal wird es dann richtig laut, wenn erhitze Gemüter aufeinanderprallen.

Und doch sauge ich diese geballte Ladung Leben ein, die sich dann um den Main tummelt: Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Ältere – alle drehen ihre eigene Mainrunde. Und überall zeigen sich Lebensspuren: Die Schlösser oben auf der Brücke erzählen von Liebesgeschichten, die Flaschen unter der Brücke von Fluchten, die Müllansammlungen auf den Mainwiesen von Gleichgültigkeit.

In all diesen Momenten wünsche ich jedem und jeder einfach nur einen oder eine, die mit ihnen geht. Die ihr Leben mit ihnen teilt – wie meine Freundin mit mir.

Dieses Konzept des miteinander Unterwegssein ist ja auch nicht neu: Vor 2000 Jahren gab es einen, der stetig seine Kreise rund um den See Genezareth gezogen hat. Immer auf der Suche nach den Menschen und ihren Geschichten, immer da, um zuzuhören. Immer bereit, dem Leben des Gegenübers eine neue Wendung, einen Aufbruch aus Isolation, eine Brücke hin zu einem glücklicheren Leben zu ermöglichen. Dieser Mensch war Jesus von Nazareth. Dass er seine Botschaft von Gottes Reich am Wasser verkündet hat, das erscheint mir mit dem Blick auf meine eigenen Mainrunden mehr als logisch.

Denn im stetigen ewigen Fließen und sich Wandeln des Flusses erkenne ich ein Bild meines eigenen Lebens: Alles fließt. Selbst wenn ich auf immer gleichen Wegen den Main umrunde, selbst wenn zu manchen Zeiten ein Tag dem anderen gleichen mag – Leben ist letztlich Bewegung – und im besten Fall ein miteinander Unterwegssein!

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