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Lob und Grenzen der Sinne - Was Sehen und Hören können und was nicht
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Lob und Grenzen der Sinne - Was Sehen und Hören können und was nicht

Karl Waldeck
Ein Beitrag von Karl Waldeck, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Du bist ein Gott, der mich sieht.“ – „Du siehst mich.“ Dieser Satz aus dem 1. Buch Mose, dem ersten Buch der Bibel, ist das Motto und Leitwort des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Berlin. Morgen beginnt er. „Du siehst mich“, das ist in der Bibel das Be­kenntnis einer alleinerziehenden Frau, die in einer kritischen, lebensbedrohlichen Situation die Erfahrung gemacht hat: Gott hat mich nicht vergessen, Gott sieht mich an, Gott hilft mir.

Gott sieht den Menschen an, er schaut nach ihm. Der Mensch kann es ihm nicht gleich machen. Gott zu sehen, das ist unmöglich − oder nur ganz wenigen unter außergewöhn­lichen Umständen vorbehalten, etwa Propheten oder Sehern.

Sehen – von Gott zum Menschen. Wer vom Sehen spricht, denkt unweigerlich an die Fülle von Bildern, die Tag für Tag auf uns einströmen: Beim Autofahren, beim Einkaufen, bei der Arbeit. Dazu kommen die medien-gemachten Bilder: Traditionell die in Zeitungen, in Illu­strierten, im Fernsehen. Nun steht durch das Internet eine schier unüberschaubare Zahl von Bildern zur Verfügung. Eine Herausforderung – quantitativ wie qualitativ! Von Men­schen gemachte Bilder haben vordergründig den Anschein echt, authentisch zu sein – auch wenn seit langem bekannt ist, dass es leicht ist, Bilder zu manipulieren und zu verfälschen. Auch die eigene Wahrnehmung kann trügen. Dennoch: In unseren Zeiten haben das Auge und das Sehen unter den Sinneswahrnehmungen den höchsten Stellenwert. Das hat auch mit den Anforderungen des Alltags zu tun, etwa der Mobilität: Wer nicht sehen kann, kann nicht Auto fahren. Der „Augenzeuge“ ist zum geflügelten Wort geworden, beim „Ohren­zeuge“ ist das nicht der Fall. Sehen ist der Schlüsselsinn unserer Zeit; er hat allerdings auch seine Grenzen.

„Ich glaub nur, was ich seh‘“ − Die Religionen, die an einen Gott glauben, tun sich seit jeher schwer damit, Gott im Bild darzustellen. Judentum und Islam verbieten es sogar. Alle menschliche Kunst sei zu gering, Gott darzustellen; sie müsse hier scheitern. Gott entziehe sich dem Zugriff durch ein menschengemachtes Bild. Das Christentum hält es nicht so strikt mit dem Bilderverbot; kennt aber auch die Grenzen des Bildes. Kein Bild kann Gott mit all seinen Eigenschaften darstellen. Deshalb kommt zum Sehen das Hören hinzu. Nicht zuletzt der Protestantismus hat daher dem Hören gegenüber dem Sehen einen höheren Rang zu­gewiesen, vor allem wenn es darum geht, das Wort Gottes zu hören. Die größten evangeli­schen Kunstwerke sind deshalb hörbar: Die Bibel, aus der gelesen oder vorgetragen wird, und die Musik zum Lobe Gottes in allen Stilrichtungen, so wie sie auf dem Kirchentag zu hören sind.

Gibt es eine Konkurrenz zwischen Ohren und Augen? − Letztlich brauchen wir beides: Das Sehen wie das Hören. Beide tragen dazu bei, dass wir Gott, die Welt und uns selber ver­stehen – ein wenig zumindest.

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