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„Fuß verstaucht? Ach, ich hatte meinen sogar mal gebrochen“ – Die Crux der „Bei mir war das so“-Parallelgeschichten
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„Fuß verstaucht? Ach, ich hatte meinen sogar mal gebrochen“ – Die Crux der „Bei mir war das so“-Parallelgeschichten

Martin Vorländer
Ein Beitrag von Martin Vorländer, Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt

„Wie geht’s?“, fragt einer den anderen. Der antwortet: „Nicht so gut. Ich habe mir den Fuß verstaucht.“ „Ach je“, bedauert ihn der erste. „Aber das ist noch gar nichts. Ich habe mir mal den kleinen Zeh gebrochen. Ich kann dir sagen: Das tut weh!“
Dem Menschen mit dem verstauchten Fuß hilft das nicht wirklich. Er merkt zwar: Der andere will irgendwie seine Anteilnahme zeigen und ausdrücken, dass er weiß, wie es ist, wenn der Fuß schmerzt und man nicht richtig laufen kann. Aber auf ihn eingegangen ist er nicht. Er hat sofort seine eigene Geschichte erzählt, und die war sogar noch schlimmer und noch schmerzhafter. Er kann also noch von Glück reden, dass der Fuß nicht gebrochen, sondern nur verstaucht ist.
Ich kenne diesen Reflex. Jemand erzählt mir etwas von sich. Sofort fällt mir ein Schwank aus meinem Leben ein, und den will ich am liebsten gleich mitteilen: „Das kenne ich! Habe ich auch schon erlebt! Bei mir war das so …“ Ich nenne das „Parallelgeschichten erzählen“. Parallelgeschichten sind die „Bei mir war das so“-Geschichten. Die können gut sein, wenn sie dem anderen zeigen: Du bist mit deiner Erfahrung nicht allein. Das kann trösten. Aber mit solchen Parallelgeschichten kann ich den anderen auch zukleistern oder an Dramatik überbieten.
Dann bleiben Verstehen und Mitfühlen auf der Strecke. Denn ich stülpe dem anderen meine Geschichte über, anstatt bei dem zu bleiben, was der mir gerade erzählt. Dabei tut es so gut, wenn jemand dem anderen seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, nicht gleich auf sich selbst zu sprechen kommt, sondern wirklich zuhört.
In der Bibel gibt es die Aufforderung: „Freut euch mit den Fröhlichen! Weint mit den Weinenden!“ Für mich liegt darin die Intensität, ganz bei dem anderen zu sein, bei seinen Gefühlen, ob gerade fröhlich oder traurig. Zuhören. Mich dem anderen zuwenden. Das bewirkt viel.

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