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Bäckereiverkäuferin
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Bäckereiverkäuferin

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Es gibt Phasen im Leben, die laufen nicht wirklich gut. Für mich war die Zeit vor meinem Examen eine solche Phase. Zur Vorbereitung bin ich nach Tübingen gewechselt. Und ich habe zum ersten Mal erlebt, was ich bis dahin gar nicht kannte: Ich fand keinen Anschluss.

Vielleicht lag es daran, dass ich den ganzen Tag lernen musste und deshalb kaum rauskam. Ich hatte gerade ein Jahr im Ausland verbracht, in Südfrankreich. Dort war alles leicht und ein bisschen wie im Urlaub, so kam es mir vor. Jetzt war der Ernst des Lebens da. Auf jeden Fall ging’s mir eine Zeit lang echt elend.

Meine Freunde, meine Familie, lebten alle weit weg. Mein einziger Lichtblick am Ort: die freundliche Verkäuferin in der Bäckerei. Es klingt albern, aber manchmal bin ich einfach losgetrottet und habe mir ein „sinnloses“ Brötchen gekauft, nur um einem freundlichen Menschen zu begegnen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie sie aussah: eine rundliche Frau um die 50, mit Lockenkopf. Ich fand sie: warmherzig, fürsorglich, wohlwollend. Genau diese Ausstrahlung habe ich damals gebraucht.

Die Bäckereiverkäuferin hat nie erfahren, was sie für mich bedeutet hat. In letzter Zeit kreuzt sie immer mal in meinen Gedanken auf. Dann versuche ich ihr zu Ehren, ihre Haltung zu den Menschen zu trainieren, also freundlich zu sein zu jemandem, den ich nicht kenne.

Dem jungen Afrikaner auf der Straße gratuliere ich zu seinen Haaren – er hat Locken, die sich wie ein großer Hut über seinem Kopf auftürmen. Sein breites Lächeln belohnt mich. Die muffige Kassiererin frage ich, ob sie Schnupfen hat. „Ja schon seit drei Wochen“, sagt sie und sieht dabei ein bisschen weniger muffig aus. Bei der muslimischen Frau mit Kopftuch bedanke ich mich, als sie mir den Fahrradweg räumt. Sie freut sich und sagt „Bitte sehr“ in perfektem Deutsch. Ich merke, dass mir das Freundlichkeits-Training gut tut. Meine eigenen Probleme stehen dann nicht mehr so im Vordergrund.

Deshalb mag ich die Stelle mit den Fürbitten so gern im Gottesdienst. Da geht es auch um diese Haltung. Fürbitten, das heißt beten nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, die man gar nicht unbedingt kennt. Wer das tut, wer für andere betet, löst sich vom Blick auf sich selbst und wünscht sich Gottes Beistand für jemand anderen. Martin Luther hat gesagt: „Fürbitten heißt: jemandem einen Engel senden.“ Und er findet sogar, dass die Fürbitten das Herzstück eines Gottesdienstes sind.

Für andere zu beten und eine freundliche Haltung, das hat für mich viel miteinander zu tun. Beides gehört zu einem besonderen Blick auf meine Mitmenschen: die anderen um mich wahrnehmen und ihnen einen Engel wünschen, ihnen freundlich begegnen und vielleicht selbst mal kurz ein Engel dadurch werden. Freundlich sein, das ist nicht einmal besonders anstrengend. Und die Wirkung kann weiter reichen, als mir im Moment bewusst ist. So wie bei der Bäckereiverkäuferin, die für mich in der einsamen Prüfungszeit zum Engel wurde.

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