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Es ist Schöpfungszeit

Es ist Schöpfungszeit

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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„In die Stadt – ohne mein Auto!“ So heißt ein europaweiter Aktionstag, der jedes Jahr am 22. September begangen wird, also heute. So richtig bekommt man davon aber gar nichts mit heute, in der Stadt, in der ich lebe. Zumindest war es im Vorfeld kein großes Thema. Vielleicht, weil es ja in diesem Jahr auch schon diverse Aktionen gab, bei denen es darum ging, mit weniger Auto auszukommen: In der Fastenzeit die Aktion Autofasten, initiiert von den beiden großen Kirchen. Und zuletzt die Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ – ein Gemeinschaftsprojekt von ADFC und der AOK, das vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist. Fast eine Viertel Million Menschen hat diesmal mitgemacht und ist mit dem Rad statt mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Mitmachen kann man als Einzelperson oder als Team. Das Bistum Mainz, zu dem ich dazu gehöre, hat da auch mitgemacht mit verschiedenen Teams – sogar der Bischof hat sich zu diesem Zweck immer wieder mal aufs Rad geschwungen. Und so sind einige Kilometer zusammengekommen, die ansonsten mit dem Auto gefahren worden wären. Das ist gut fürs Klima und gut für die Gesundheit.

Ich habe bei der Aktion nicht mitgemacht – irgendwie habe ich viele gute Gründe dafür, wobei es bei genauerem Hinsehen viele mehr oder weniger gute Ausreden sind. Ja, ich könnte eigentlich täglich mit dem Rad zur Arbeit fahren, denn ich habe es nicht weit. Keine fünf Kilometer sind das. Und meiner Gesundheit würde es wirklich guttun. Aber was ist bei schlechtem Wetter? Und ich bin doch so oft so beladen. Und wenn ich dann völlig zerzaust auf der Arbeit ankomme, das geht gar nicht. Außerdem mache ich doch ganz gerne noch auf dem Weg die ein oder andere Erledigung mit dem Auto. Und dann die schlechten Fahrradwege, an vielen Stellen fehlen sie ganz. Ja, manchmal fühle ich mich als Radfahrerin ganz schön unsicher – zwischen Autos und Bussen, anderen Radfahrern, die oft viel schneller unterwegs sind als ich, zwischen den E-Rollerfahrern und Fußgängern. Der überzeugendste Einwand dagegen ist für mich aber die Brücke zwischen Wiesbaden und Mainz, über die ich jeden Tag rüber muss. Die Steigung schafft mich einfach, und sie ist das Lieblingsargument meines inneren Schweinehundes.

Bei all den Argumenten, die ich immer wieder gerne anführe, ist es unterm Strich und in Wahrheit doch so, dass ich einfach zu bequem bin. Mich für den Klimaschutz zu positionieren und danach zu handeln, das erfordert Einsatz und das kann ganz schön anstrengend sein.

Radeln fürs Klima, damit tue ich mir schwer. Ich bewundere diejenigen, die das wie selbstverständlich schaffen, und habe manchmal ein ganz schön schlechtes Gewissen.

Aber immerhin: In anderen Bereichen tu ich durchaus einiges fürs Klima. Wir führen zu Hause eine recht lebendige Debatte zum Thema Umwelt- und Klimaschutz. Und dabei suchen wir uns Felder, in denen wir aktiv etwas für die Umwelt tun. Wir bemühen uns um Nachhaltigkeit. Wir kaufen beispielsweise seit gut einem Jahr ausschließlich Biofleisch und - weil das teurer ist - erheblich weniger Fleisch. Das war für uns eine spürbare Umstellung – eben nicht mehr automatisch zuzugreifen und viel zu nehmen, weil es ja günstig ist. Wir verzichten auf Produkte von Firmen, von denen wir wissen, dass sie keine fairen Bedingungen schaffen – für die Natur, für die Tiere, für Menschen. Wir beziehen Ökostrom. Wir bilden nach Möglichkeit Fahrgemeinschaften. Und manchmal wird aus der Not eine Tugend. Unser Garten ist das schönste Insekten- und Kleintierparadies, weil wir viel zu wenig Zeit haben, ihn zu stutzen und zu pflegen.

Insgesamt haben wir zu zum Thema Klima, glaube ich, einen sehr realistischen Blick.

Nur so kann meines Erachtens Nachhaltigkeit auf Dauer gelingen. Wir können und wollen nicht auf alles verzichten. Wir sind uns unserer Grenzen und Unzulänglichkeiten sehr bewusst. Überheblichkeit und Besserwisserei steht uns nicht zu. Bewusstseinsbildung und -schärfung gegen die Selbstverständlichkeiten im Alltag, das scheint mir ein wichtiger Weg in der zum Teil doch sehr hitzigen Klimadebatte zu sein. In einer Debatte, in der einige Gretha Thunberg zur Heiligen erheben, während andere ein regelrechtes Grethabashing betreiben.

Unsere älteste Tochter hat sich entschieden, nicht zu den Fridays for future-Demos zu gehen. Von uns aus hätte sie gehen dürfen, aber sie mag nicht protestieren. Sie informiert sich und ringt um eine verantwortungsvolle Lebensweise. Sie hat mit anderen Jugendlichen in unserer Gemeinde vor ein paar Wochen einen Jugendgottesdienst gestaltet zum Thema Sundays for future. Auf beeindruckende Weise kam darin zum Ausdruck, was die jungen Leute denken: Welche Ängste sie haben, aber auch welche Hoffnungen. Was sie sich für ihre Zukunft wünschen und was sie bereit sind, dafür zu tun, wozu sie andere bewegen wollen und was sie von Gott erbitten. Da ging es auch nicht mehr nur um Klima und Natur, da ging es auch um das Thema Arbeit, das Miteinander in der Gesellschaft und Veränderungen in der Kirche.

Bei all dem, was auch ich mir an Veränderungen in der Katholischen Kirche erhoffe und ersehne, bin ich froh, dass meine Kirche nicht verschämt zu Themen schweigt, die auch politisch sind, weil sie genügend eigene Baustellen hätte oder weil sie einer bestimmten Partei auf den Leim gehen könnte. Ich bin froh über eine Kirche, die sich zu den wichtigen Themen zu Wort meldet – Themen, wie die Klimakrise oder Migration, die uns alle angehen und bei denen wir uns als Christen und Christinnen der Verantwortung nicht entziehen können.

Wir haben als Christinnen und Christen - gemeinsam mit allen Menschen auf dieser Erde – Verantwortung für unsere Umwelt, für unser Klima, für die Welt, in der wir leben und mehr noch für die Welt, in der unsere Nachkommen leben werden. Papst Franziskus hat im Jahr 2015 eine Enzyklika geschrieben, die nicht nur in der Kirche viel Beachtung fand. Genau genommen war es nicht nur ein Rundschreiben an die Weltkirche, er wendet sich nicht nur an die Katholiken und Katholikinnen, sondern er sagt: „Angesichts der weltweiten Umweltschäden möchte ich mich jetzt an jeden Menschen wenden, der auf diesem Planeten wohnt.“

„Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ – die Schöpfung – so ist der Untertitel des Schreibens, und es ist zugleich das, was Papst Franziskus antreibt. Ehrlich, gründlich und berührend geht er auf die Situation heute ein. Die Schöpfung ist akut gefährdet: unsere Umwelt, das Klima, das Wasser, die Tiere, die Lebensbedingungen und schließlich der Mensch selbst. Der Papst möchte die Menschen wachrütteln. Er sagt: „Die dringende Herausforderung, unser gemeinsames Haus zu schützen, schließt die Sorge ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen…“ Mit diesem Aufruf und mit dieser Sichtweise weiß sich Papst Franziskus auch ökumenisch verbunden mit den anderen christlichen Kirchen und vor allem der Orthodoxen Kirche. Auf die Orthodoxe Kirche geht der Vorschlag zurück, die Zeit zwischen dem 01. September und dem 03. Oktober eines jeden Jahres der Schöpfung zu widmen.

Wir sind also mittendrin, es ist Schöpfungszeit. Und wenn ich nach draußen schaue, in die Gärten und auf die Äcker, dann kann ich das spüren, mitten in der Erntezeit, in der die Natur ihr Bestes gibt, in der wir aus dem Vollen schöpfen dürfen. Ich bin dankbar für das, was die Natur uns zum Leben schenkt, und ich bin dankbar für die guten Lebensbedingungen, die ich hier genießen darf. Und vielleicht gelingt es mir ja, gemeinsam mit meinem inneren Schweinehund doch eine Lösung für meine tägliche Fahrt zur Arbeit zu finden. Ich habe da schonmal an ein E-Bike gedacht – klimatechnisch nicht ganz perfekt, aber besser als das Auto, und es tut auch mir gut, denn auch ich bin ein Teil der Schöpfung, die es zu bewahren gilt.

 

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