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Der "Sei-ein-Engel-Tag"
Polla Guimaraes/Pixabay

Der "Sei-ein-Engel-Tag"

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim
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„Dich schickt der Himmel.“ Ich weiß gar nicht, wann das jemand zuletzt zu mir gesagt hat. Vielleicht sagt es heute jemand. Denn heute ist der „Sei-ein-Engel-Tag“. In jedem Jahr wird dieser Aktionstag am 22. August vor allem in den USA begangen. Erfunden hat ihn 1993 Reverend Jayne Feldman. Sie regt an, einander zu Engeln zu werden. Also Gutes zu tun.

In der Bibel wird an vielen Stellen erzählt: Engel kommen zu den Menschen und überbringen ihnen Gottes Botschaften. Sie schützen Menschen in Gefahren. Engel zeigen den Menschen: Gott ist bei ihnen.

Eine meiner Lieblings-Engelgeschichten aus der Bibel ist die von dem Propheten Elia, dem ein Engel begegnet (1. Könige 19,1-8). Elia hat sich für Gott eingesetzt. Für die Sache, von der überzeugt ist. Doch er stößt auf Widerstände. Eine mächtige Königin will ihn töten. Die Konflikte reiben ihn auf, und er lädt dabei auch selber Schuld auf sich. Elia ist völlig erschöpft. Er zieht sich in die Wüste zurück, setzt sich unter einen Ginster und sagt: „Ich kann nicht mehr! Ich will lieber sterben als so weiter machen!“

Und Elia schläft unter dem Strauch in der Wüste ein. Es erwartet niemand etwas von ihm. Im Gegenteil. Er bekommt etwas. Ein Engel Gottes kommt zu ihm, während er schläft. Ganz leise stellt ihm der Engel Brot und Wasser hin. Behutsam berührt er ihn. „Steh auf und iss“, sagt der Engel. Elia wacht kurz auf, isst und  trinkt. Er diskutiert nicht, muss nicht verstehen. Und schläft weiter.

Der Engel kommt ein zweites Mal. Wieder berührt er ihn. Diesmal weist er den Blick nach vorne. „Steh auf. Iss und trink. Du hast einen weiten Weg vor dir.“ Und Elia steht auf, isst und trinkt und  geht los. Bereit für das, was kommt.

Die Hilfe, die Elia von dem Engel bekommt, ist ganz direkt und voller Fürsorge. Er bekommt das, was er in seiner Krise unmittelbar braucht: Essen und Trinken, damit seine Lebenskräfte und sein Lebensmut zurückkehren. War es ein Engel, war es eine Hirtin, die vorüberkam und Mitleid hatte mit dem Mann unter dem Ginster-Strauch? Wer es auch war, er oder sie brachte Elia ins Leben zurück.

Das ruft ein altes Bild in mir wach: Der Engel hilft auf die liebevolle Weise, mit der Mütter oder Großmütter zu allen Zeiten getröstet haben. Wenn der Kummer zu groß war, schoben sie eine Scheibe Brot, eine Schüssel heiße Suppe, ein Stück Schokolade über den Tisch und forderten auf: "Nun iss erst mal was!"

Das Essen weckt den Lebenswillen. Es lässt den Schmerz des aufgeschlagenen Knies, den Kummer über die vergeigte Klassenarbeit, das Leiden an der enttäuschten Liebe, die Trauer über den Gestorbenen für einen Moment vergessen. Wenn sich mir jemand liebevoll zuwendet, mich so berührt, lindert das den Kummer. Die Probleme sind nicht weg. Aber ich kann sie anders betrachten. Das lässt mich das Leben wieder neu sehen.

Die Geschichte von Elia und dem Engel motiviert mich, einem anderen Menschen in meinem Umfeld zum Engel zu werden. Vielleicht werde ich meiner Frau zum Engel, wenn ich sehe, wie sie manchmal durch den Alltag hetzt. Sie muss vieles unter einen Hut bekommen und klagt immer öfter: „Ich habe das Gefühl, niemand sieht, wie ich mich anstrenge. Ich komme kaum noch zur Ruhe. Die Arbeit, unser Kind… Manchmal wächst mir alles über den Kopf.“

Ich kann versuchen, ihr eine Auszeit zu verschaffen. Und ihr sagen: „Ruh dich aus. Ich werde etwas kochen.“ Vielleicht ist sie dann gestärkt für das, was kommt. Und wenn sie dann noch sagt: „Dich schickt der Himmel“, wäre das ein gelungener „Sei-ein-Engel-Tag“.

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