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Wenn Worte fehlen
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Wenn Worte fehlen

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin
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Eine Szene beim Mittagessen. Den vollen Teller vor sich faltet der Kollege die Hände, ist in sich gekehrt. Er betet still. Die anderen übergehen es, vielleicht, weil sie nicht stören wollen oder weil es ihnen nicht ganz geheuer ist. Beten in der Öffentlichkeit ist nicht angesagt. Es überrascht, wenn Prominente sich dazu bekennen. Giovanni di Lorenzo zum Beispiel, Chefredakteur der „Zeit“, spricht darüber, dass er zu Hause vor dem Essen still betet, auch wenn Gäste da sind. Oft sei das der schönste Moment des Tages.

Als meine Kinder klein waren, gehörte das Abendgebet zum Einschlafritual. „Guter Gott, was schön war heute, kam von dir, was unrecht war, vergib es mir. Lass mich bei dir geborgen sein. In deinem Frieden schlaf ich ein.“ Heute sind sie erwachsen. Sie beten es immer noch dann und wann. So ein Ritual hilft ­–  nicht nur, um leicht in den Schlaf zu kommen. Sondern auch, um mit dem Leben gut klar zu kommen. Vergebung, Geborgenheit, Frieden – ein harmonischer Klang.

Wie das aussehen kann, wenn man kein Gebet hat, besonders in der Not, das zeigt der Film „Zeit der Kannibalen“. Drei aalglatte Unternehmensberater sind in Entwicklungsländern unterwegs, um Firmen auf einen gnadenlosen Konkurrenzkampf zu drillen. Sie vernichten Existenzen, profilieren sich ständig auf Kosten anderer. Bei ihrer Arbeit hocken sie ausschließlich in Hotelzimmern. Draußen vor der Tür knallen die Schüsse des Bürgerkriegs im Land, aber es interessiert sie nicht.
Dann besetzen Terroristen das Hotel. Der Bürgerkrieg ist zu den Unternehmensberatern gekommen. Die drei kauern zusammen in einer Ecke des Zimmers. In ihrer Todesangst fragen sie nach einem Gebet, das einer von ihnen sprechen soll – zum Trost. Keiner von ihnen kennt eins. Noch nicht einmal das Vaterunser. Diese Hilflosigkeit der drei hat mich schwer beeindruckt. Ich hoffe, dass ich tröstende Wörter finde, wenn mir das Leben mal die Sprache verschlägt.  

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