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Requiem. Eines Tages Ruhe und Frieden finden
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Requiem. Eines Tages Ruhe und Frieden finden

Vera Langner
Ein Beitrag von Vera Langner, Evangelische Pfarrerin, Ober-Ramstadt
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Sprecher der Zitate: Bastian Korff; Sprecherin der Morgenfeier: Die Autorin Vera Langner. Musikauswahl: Uwe Krause

Heute ist Totensonntag. Ein Feiertag, der gesetzlich geschützt ist als ein Tag der Ruhe und der „seelischen Erbauung“, wie es im Gesetzestext heißt. Ich finde das gut. Denn mit dem Tod sind wir alle irgendwann konfrontiert. Mit dem Tod anderer oder unserem eigenen. Der Totensonntag heute gibt Raum und Zeit, die Endlichkeit zu bedenken.

In den Kirchen werden die Namen, der im vergangenen Jahr Verstorbenen verlesen

Viele haben in den vergangenen Tagen die Gräber ihrer Angehörigen gepflegt und geschmückt. Auch heute machen sich Menschen auf den Weg zum Friedhof.
In evangelischen Kirchen werden an diesem Sonntag die Namen derer verlesen, die im vergangenen Jahr gestorben sind und christlich bestattet wurden.

Das lebendige Licht der vielen Kerzen soll den Trauernden gut tun

Auch bei uns in Ober-Ramstadt nehmen wir uns heute im Gottesdienst die Zeit, an die Verstorbenen und ihre Namen zu erinnern. Für jeden und jede wird eine Kerze angezündet. Es wird dadurch immer heller in unserer Kirche. Das lebendige Licht dieser vielen Kerzen soll besonders denen guttun, die noch voller Trauer sind und oft schwarz gekleidet den Gottesdienst besuchen. Heute hat die Erinnerung an einen geliebten Menschen einen geschützten Raum. Heute dürfen Tränen geweint werden. Fragen und Klagen werden vor Gott gebracht. Aber auch die Dankbarkeit für die wertvolle gemeinsame Zeit kann sich ausbreiten im Kirchenraum.

Der Totensonntag hat viele Facetten

Ob auf dem Friedhof, in der Kirche oder an anderen Orten - Menschen gedenken ihrer Verstorbenen in unterschiedlicher Weise. Der Totensonntag hat viele Facetten, weil jede und jeder anders mit Tod und Trauer umgeht.

Trauer und Schmerz lassen wir gerne außen vor

Alles, was mit Abschied, Trauer, Schmerz und Ohnmacht zusammenhängt, wird sonst oft lieber außen vorgelassen und ausgespart. Die Auswirkungen von Sterben und Abschied treffen aber jeden und jede früher oder später. Die Spannungen und Widersprüche, die sich im Nachdenken über den Tod ergeben, gilt es auszuhalten.

Eine einfache Antwort gibt es nicht

Einfache Antworten gibt es nicht, wenn Menschen fragen: Wie ist das am Ende des Lebens? Werden wir zur Rechenschaft gezogen für das, wie wir gelebt haben? Oder ist mit dem Tod einfach alles aus? Gibt es ein Leben nach dem Tod und wenn ja, wie können wir uns das vorstellen? Der christliche Glauben bietet Bilder und Geschichten an, die auf diese Fragen gefunden wurden.

Der Tod und was danach kommt, wurde in besonderer Weise in Musik ausgedrückt

In besonderer Weise hat die Musik diese Glaubens-Antworten bearbeitet. Musik spricht die Seele unmittelbar an. Der Tod und was danach kommt hat besonders Komponisten des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Kantor Uwe Krause hat für diese Morgenfeier Werke von Verdi, Fauré und Brahms ausgesucht.

Die machtvolle Dimension des Todes

Zunächst geht es um die Erschütterung und die machtvolle Dimension des Todes. Plötzlich und unerwartet bricht der Tag an, der alles verändert: Dies irae, der Tag des Zorns. Das Universum zerfällt zu Asche. Endzeitliche Schreckensbilder steigen auf, ein Schrei der Verzweiflung ist zu hören. Das Drama des Todes ist weltumspannend und doch auch ganz persönlich. So klingt das bei Giuseppe Verdi im 2. Satz seines Requiems. 

Musik: Giuseppe Verdi, Requiem (Cheryl Studer, Luciano Pavarotti etc., Orchester und Chor der Mailändr Scala unter Riccardo Muti)

Verdis Requiem

Der eigene Tod und das Ende der Welt werden in diesem Szenario vom Endgericht zusammengedacht. Mit dem eigenen Tod enden meine Möglichkeiten, mich so oder anders zu verhalten. Wenn ich tot bin, endet mein Denken, Hoffen, Glauben, Handeln. Der christliche Glaube rechnet damit, dass dann Gottes Gerechtigkeit anbricht und ein Reich des Friedens auf die wartet, die daran glauben konnten. Unweigerlich drängt sich die Frage auf: Und was ist mit den anderen, die nicht daran glauben konnten? Sind die verdammt und verloren? Zu wem werde ich gehören?

Die Hölle auf Erden: Krieg und Mißbrauch

Der Gedanke an ein Gericht am Ende der Zeit wurde im Mittelalter in großflächigen Bildern dargestellt mit gruseligen und brutalen Darstellungen der Hölle. Ich konnte diesen Bildern lange Zeit nicht viel abgewinnen. Aber in der Seelsorge begegnen mir Menschen, die sagen: „Ich habe die Hölle erlebt.“ Oder: „Ich bin durch die Hölle gegangen!“ Einer erzählt, was er als junger Mann im Krieg erlebt hat. Er ist bis heute nicht darüber hinweg, was er mitgemacht hat und dass er die besten Jugendjahre in der Hölle des Krieges verloren hat.

Dem eigenen Schicksal kann man zu Lebzeiten nicht entfliehen

Eine andere spricht mit mir über ihre Kindheit, die durch Gewalt und Missbrauch bestimmt war. Ich bin erschüttert. Ohnmächtig haben sich Kinder und junge Soldaten in solchen Höllenerfahrungen erlebt. Wut und Hass haben sich in ihnen eingenistet und manchmal auch Rachegedanken. Zu Lebzeiten tragen sie an diesem Schicksal und können ihm nicht entfliehen.

Gibt es ein Gericht und eine Gerechtigkeit am Ende der Zeit?

Mit solchen Menschen denke ich manchmal darüber nach, ob es ein Gericht und eine Gerechtigkeit geben könnte am Ende der Zeit. Und wir erproben einen Glauben, der uns ermöglicht, Wut, Hass und Rachegelüste der göttlichen Gerechtigkeit zu überlassen. Wir suchen in solchen Gesprächen nach dem, was uns schon hier und jetzt befreit und erlöst von dem Bösen. Ich bin dankbar, wenn Menschen in diesem Ringen um Gerechtigkeit neu vertrauen lernen und dadurch unerwartet neue Spielräume im Denken und Handeln gewinnen.

Jenseitsbilder von Himmel und Hölle können helfen unsere eigene Wirklichkeit zu erkennen

Jenseitsbilder von Himmel und Hölle sind wie ein Spiegel, in dem wir unsere eigene Wirklichkeit erkennen können. Mir helfen sie, dass ich die Orientierung in dieser Welt nicht verliere. Sie ermutigen, Gut und Böse unterscheiden zu lernen. Sie halten die Hoffnung wach, dass wir uns entscheiden können für einen Weg, der Gutes verheißt.

Bilder vom Paradies - ein Vorgeschmack auf das, was Gott bereithält

Neben den Gemälden vom Jüngsten Gericht gibt es die Bilder vom Paradies. Sie geben schon im Hier und Jetzt einen Vorgeschmack von dem, was Gott bereithält für seine geliebten Geschöpfe. Musikalisch hat sich der französische Komponist Gabriel Fauré in seinem Requiem das Paradies ausgemalt.

Das Requiem von Gabriel Fauré

Es ist das einzige größere Werk des Komponisten mit einem religiösen Text als Basis. Auch wenn Fauré als schlecht bezahlter Organist in Kirchengemeinden die Orgel spielte, war er wohl kein besonders gläubiger Mensch. Umso bemerkenswerter finde ich, dass auch er sich mit dem Tod und dem Leben danach beschäftig hat.

Das neue Jerusalem, ein Ort des Friedens

Fauré hat in Töne übersetzt, wie sich die Bibel das neue Jerusalem als einen Ort des Friedens vorstellt. Gottes Liebe durchströmt diese himmlische Stadt wie ein Bach, in dem das Wasser des Lebens unaufhörlich fließt. So steht das im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung.

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen… Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen… Und ich hörte eine große Stimme vom Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen… Ich will den Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. (Offenbarung 21,1-6 in Auszügen)

"Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen."

„Gott wird bei ihnen wohnen…“ Gott, nicht mehr fern. Nicht mehr ungewiss, ob es ihn gibt und wie er ist, sondern ganz nahe: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen.“ Und das, was hier manchmal unendlich zu schaffen macht, das ständige Abschiednehmen, die ewige Frage, warum manche Menschen so entsetzlich leiden müssen, die Angst, wie es mir selbst einmal gehen wird, wenn Krankheit und das Ende kommen – all das wird Gott abwischen, liebevoll, so wie eine Mutter oder ein Vater die Tränen vom Gesicht des Kindes wischt. Der Tod wird nicht mehr sein, nur noch die Quelle des lebendigen Wassers umsonst. „In Paradisum - Im Paradies“. So hat Gabriel Fauré das komponiert.

Musik: Gabriel Fauré, Requiem (Orchestre Symphonique der Montreal unter Charles Dutoit)

Zwischen Himmel und Hölle bewegen sich die Bilder, die die Komponisten Fauré und Verdi in ihren Requien vertont haben. Sie folgten dabei im Aufbau der Textauswahl der Liturgie der lateinischen Totenmesse.

Johannes Brahms und sein "Deutsches Requiem"

Einen anderen Weg ging Johannes Brahms mit seinem Deutschen Requiem. Brahms war im evangelisch-lutherischen Hamburg groß geworden. Er wählte als Textgrundlage für seine Komposition verschiedene Stellen aus der Lutherbibel aus. Diese biblischen Verse sollten in besonderer Weise tröstlich sein für alle, die um einen geliebten Menschen trauern. Biographisch war wohl der Tod seiner Mutter 1865 der Anlass für Brahms, sein Deutsches Requiem weiter zu bearbeiten und zu vollenden.

Brahms wählte als Textgrundlage verschiedene Stellen der Lutherbibel

In der Musik Trost suchen und finden ist bis heute für viele Menschen wichtig, auch für mich. Und ich stelle mir vor, dass Johannes Brahms ebenfalls in den Worten der Bibel Trost gefunden hat. Er hat sie in Musik übersetzt, so dass diese Trostworte weiter wirken konnten für ihn selbst und für andere. Brahms beginnt mit einem Vers aus den sogenannten Seligpreisungen von Jesus:

Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. (Matthäus 5,4)

Daneben stellt Brahms einen Psalmvers aus der jüdischen Bibel, dem Alten Testament:

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben. (Psalm 126,5-6)

Trauer und Leid sind zutiefst menschliche Erfahrungen, die dazu dienen können, etwas Neues zu entdecken

In beiden Versen ist die Trauer verknüpft mit einer Verheißung. Leid tragen und traurig sein ist etwas Kostbares. Es gehört zum Durchgangsstadium der Liebe. Trauer und Leid sind zutiefst menschliche Erfahrungen, die dazu dienen können, etwas Neues zu entdecken. Die Hoffnung dahinter heißt: Da wird sich etwas wandeln und wachsen in mir. Auch wenn es mir jetzt schlecht geht, brauche ich dabei nicht stehen zu bleiben. Ich darf darauf vertrauen, dass mir Tröstliches begegnen wird, dass ich mich wieder freuen werde, vielleicht ganz unerwartet. Mit Tränen säen, mit Freuden ernten. So hat Johannes Brahms diese Hoffnung in Musik gefasst.

Musik: Johannes Brahms, Ein Deutsches Requiem (Charlotte Margiono, Rodney Gilfry, Orchestre Révolutionnaire et Romantique und der Monteverdi Chor unter Eliot Gardiner)

Die unterschiedlichen Phasen der Trauer

Seelsorgerlich sensibel führt Brahms die Hörerinnen und Hörer seines Deutschen Requiems mit Versen aus der Lutherbibel durch unterschiedliche Phasen der Trauer. Eine Trauerphase am Anfang ist das Nicht-Wahrhaben-Wollen. Ich will und kann nicht glauben, dass er gestorben ist, dass sie nicht mehr da ist. Alles nur ein böser Traum, der gleich vorbei ist? Es fühlt sich an, als wäre der vertraute Mensch nur ins Nebenzimmer gegangen und käme gleich wieder zur Tür herein.

Die Realität des Todes trifft einen immer wieder wie ein Schlag

Aber dann trifft einen die Realität des Todes immer wieder wie ein Schlag: Der Verstorbene kommt nicht wieder. Die schmerzhafte Wahrheit der Vergänglichkeit spricht im Neuen Testament ein Vers aus dem 1. Petrusbrief aus. Der Verfasser dieses Bibelverses nimmt Bezug auf den Propheten Jesaja im Alten Testament. Schonungslos wird da die Vergänglichkeit beschrieben mit Bildern aus der Natur. Alles Leben vergeht, verblüht, endet.

Denn alles Fleisch, es ist wie Gras und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. (1. Petrus 1,24)

Gottes Wort, das ins Leben ruft, bleibt in Ewigkeit

Im Angesicht der Vergänglichkeit ist die Suche nach dem, was bleibt, ein wichtiger Trost. Das Bleibende gibt Halt in aller Haltlosigkeit. Wenn wir selbst nichts mehr halten können, wer oder was hält uns dann? Die Menschen der Bibel vertrauen darauf: Gottes Wort bleibt. Gott, der spricht: Es werde Licht. Gottes Wort, das ins Leben ruft, bleibt in Ewigkeit. Das war auch die Überzeugung und Erfahrung des Johannes Brahms. Ein Zeitgenosse und Freund bezeichnete ihn als kern-protestantisch und tief religiös. (Heinrich von Herzogenberg).

Eine Musik mit hoffnungsvollen Gedanken und Versen

So entwickelt Brahms sein Requien mit hoffnungsvollen Gedanken und Versen. Er übergeht dabei die Trauer nicht. Aber die Musik seines Deutschen Requiems bewegt sich nicht nur in Moll. Oft vertont er seine Bibelverse in hellen Durtonarten. So auch den folgenden Satz aus dem Prophetenbuch des Jesaja:

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“(Jesaja 66,13)

Vielleicht war Brahms dabei die Erinnerung an seine verstorbene Mutter besonders nahe. Vielleicht empfand er das Gottesbild einer tröstenden Mutter als besonders hilfreich. Denn die Erinnerung an eine Mutter, die ihr weinendes Kind liebevoll in die Arme schließt, ist eine Urerfahrung des Trostes.

Eine Seligpreisung - eine Stimme vom Himmel her

Für den Abschluss seines Requiems greift Brahms noch einmal eine Seligpreisung auf. Die Worte stammen aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung. Da ist eine Stimme zu hören vom Himmel her, die sagt:

Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihren Mühen, denn ihre Werke folgen ihnen nach. (Offenbarung 14,13)

Vielleicht hatte Brahms seine Mutter vor Augen, die nach einem arbeitsreichen und unruhigen Leben im Alter von 76 Jahren gestorben war. Vielleicht konnte er vier Jahre nach dem Tod der Mutter bei der Uraufführung seines Requiems im Gewandhaus von Leipzig diesen Frieden schon erleben, von dem seine Musik am Ende erzählt.

Frieden schließen können mit der Erfahrung des Todes

Es ist das Ziel aller Trauerarbeit, am Ende nach allem Auf und Ab der Gefühle Frieden schließen zu können mit der Erfahrung des Todes. Dieser Frieden, diese Seligkeit der Toten am Ende markiert den Beginn der Ewigkeit. Und deshalb heißt der Totensonntag in der evangelischen Kirche „Ewigkeitssonntag“. Es geht um das Leben, das Bestand hat über den Tod hinaus. Das entspricht dem christlichen Glauben: Wir bleiben nicht beim Tod stehen. Nach dem Sterben beginnt etwas Neues. Wir sterben nicht gottverlassen ins Nichts hinein. Christus ist an unserer Seite. Er leuchtet uns auf dem Weg durch das Dunkel des Todes ins ewige Leben. Das ist auch meine Hoffnung, die mir immer wieder Kraft gibt, dankbar zu leben, jeden Tag neu.

Musik: Johannes Brahms, Ein Deutsches Requiem (Charlotte Margiono, Rodney Gilfry, Orchestre Révolutionnaire et Romantique und der Monteverdi Chor unter Eliot Gardiner)

 

 

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