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Opas Uhr
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Opas Uhr

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
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Das Glas hat schon ein paar Kratzer und einen kleinen Sprung oben am Rand. Und auch das silberne Gehäuse sieht schon ein bisschen ramponiert aus. Aber sie zeigt mir zuverlässig die Zeit an und hat sogar eine Datumsanzeige. Das ist Opas Uhr. Opas Uhr: Ich habe sie von meinem Großvater geerbt. Vor vier Jahren ist er gestorben, und die Uhr hat er immer getragen. Auch am letzten Tag seines Lebens, als ich mich im Krankenhaus von ihm verabschiedet habe. Nach seinem Tod hat mein Vater mir dann Opas Uhr gegeben. Ich habe mir dann ein neues Armband für die Uhr gekauft. Und eigentlich wollte ich auch das Uhrenglas erneuern. Aber das ist mir dann einerseits zu teuer gewesen. Und andererseits will ich die Uhr so tragen, wie auch mein Opa sie bis zuletzt getragen hat. Mit allen Kanten und Kratzern.

Opas Uhr: Sie ist – glaube ich – kein ganz besonders wertvolles Stück. Und ich weiß auch gar nicht, wer sie ihm einmal geschenkt hat. Vielleicht war es seine Frau, vielleicht seine Kinder. Aber sie ist ein Andenken für mich. Ein Andenken an einen Menschen, der viele Jahre Teil meines Lebens war. Und jeden Morgen, wenn ich die Uhr anziehe, dann denke ich kurz an ihn. Vor ein paar Monaten hatte ich die Uhr bei einem Freund vergessen und es hat etwas gedauert, bis ich sie wieder hatte. In diesen Tagen ohne Uhr habe ich gemerkt: Mir fehlt sie. Mir fehlt die Erinnerung an einen lieben Menschen.

Opas Uhr: Ich nenne sie mein Erinnerungsstück. Und ich habe noch ein paar andere Erinnerungsstücke. Die Zeichnung vom Hochzeitskleid meiner Oma aus den 1950er Jahren. Unser Wohnzimmertisch, den mir mein anderer Opa einmal geschreinert hat. Oder auch das gute Porzellanservice mit Goldrand und die Kristallgläser, die ich von meinen Großeltern geerbt habe. Immer an Heilig Abend holen wir beides für unser Abendessen aus dem Keller. Und mit der Zeit fangen wir dann an, über die Großeltern zu sprechen. Uns an sie zu erinnern. Wir erinnern uns an ihre liebenswerten Eigenarten. An die schöne Zeit, die wir gemeinsam hatten. Aber auch an die schweren letzten Jahre, die von Krankheit und Demenz geprägt waren.

Opas Uhr und das Porzellanservice. Keine Angst: Ich bin jetzt kein Mensch, der sich nur mit Dingen von Toten umgibt. Ich lebe gerne und genieße mein Leben. Und in unserer Wohnung finden sich auch moderne Möbel und neues Geschirr. Aber mir sind diese Erinnerungsstücke ganz wichtig. Denn sie helfen mir dabei, die Toten nicht zu vergessen. Sie halten sie mir in Erinnerung. Das kommt mir gerade im November in den Sinn. In einer Zeit, in der ja der Toten ganz besonders gedacht wird. Ich habe mal einen Satz von Dietrich Bonhoeffer gelesen. Ich finde, er passt ganz gut zu Opas Uhr und den Erinnerungsstücken. Er lautet: „Je schöner und voller die Erinnerungen, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.“

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