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Hören, was das Herz mir sagt
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Hören, was das Herz mir sagt

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Was ist richtig? Was ist falsch? Nicht so einfach im Moment. Je lockerer die Schutzbestimmungen wegen Corona werden, desto schwieriger wird es, finde ich.  Die Leute um mich herum gehen unterschiedlich damit um. Die einen sind nach wie vor sehr vorsichtig. Halten sich streng an den Sicherheitsabstand. Andere versuchen, langsam wieder in einen „normalen Alltag“ zurückzufinden. Und dann gibt es noch die, die sowieso alles Quatsch finden, was mit Corona zu tun hat.

Unterschiedliche Meinungen sind normal, aber Verschwörungstheorien?

Man kann und darf in unserem Land unterschiedlicher Meinung sein. Und man darf das auch laut sagen. Soweit alles ok. Befremdlich wird es für mich, wenn Verschwörungsgedanken dazu kommen. Das ist oft so krude, ich mag das gar nicht wiederholen. Ich frage mich: Wie kommt man darauf, hinter einem neuen Virus gleich ein Komplott zu vermuten?

In Kriesenzeiten erleben Menschen Kontrollverlust

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty von der Uni in Mainz forscht zum Thema Verschwörungsmythen. Sie sagt: „Das Coronavirus ist nur ein Verstärker. Verschwörungsglauben gab es schon immer. In Krisenzeiten wird das besonders deutlich.“ Wenn Menschen einen Kontrollverlust erleben, so Lamberty, dann glauben sie stärker an Verschwörung.

Kontrollverlust. Damit meint die Forscherin viele verschiedene Situationen. Wenn man vom Partner verlassen wird. Wenn man den Job verliert. Oder eben eine Pandemie, wie wir sie jetzt gerade haben.

Wenn man dann jemandem dafür die Schuld geben kann, ist das der Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen. Und Struktur ins Leben zu bringen. Selbst wenn das eine Struktur ist, die Angst macht, „aber immer noch besser als der Zufall oder das Chaos“, so Lamberty.

Man will alles richtig machen als Mutter

Das Gefühl, eine Situation nicht in der Hand zu haben, das kenne ich. Da wird man schnell dünnhäutig. Zum Beispiel: Bei meinem ersten Kind habe ich mir viele Gedanken gemacht. Mutter werden war für mich keine Krise, aber doch eine große Herausforderung. Ich hatte noch keine Erfahrung, wollte aber alles richtig machen. Damit es dem Kind gut geht. Dazu gehörte unter anderem die Frage: Welche Impfungen sind nötig?

Wenn man einmal anfängt, sich zu dem Thema schlau zu machen, landet man ganz schnell bei denen, die Impfungen skeptisch sehen. Die sagen: Impfungen sind nicht notwendig, sie wirken nicht, sie sind sogar schädlich.

Kinder impfen lassen oder nicht?

Ja, mit Impfungen sind auch Risiken verbunden. Das hat mich als junge Mutter verunsichert, bis ich mir klar gemacht habe: Dank Impfungen wurden im letzten Jahrhundert schwerste Krankheiten ausgerottet. Tausendfach ist wissenschaftlich belegt: Impfungen retten Leben. Vom Kopf her war mir das klar. Aber tief in mir hatte ich auch Angst.

Auch in Coronazeiten muss man ständig abwägen

Vielleicht geht es vielen Menschen zurzeit mit Corona genauso. Es wird viel geforscht. Fast jeden Tag gibt es neue Erkenntnisse und Empfehlungen. Wir müssen ständig abwägen, nach tragfähigen Lösungen suchen und lernen, auch mit Widersprüchlichkeiten umzugehen. Die eine, absolute Wahrheit gibt es nicht.

Die Frage ist, wie macht man das? Damit umgehen, dass unser Wissen immer vorläufig ist. Dass wir trotzdem Entscheidungen treffen müssen. In der Bibel gibt es eine Geschichte über König Salomo, die mir dabei hilft. Salomo musste oft entscheiden, auch wenn überhaupt nicht klar war: Was ist richtig und was falsch?

Die Geschichte von König Salomo

König Salomo lebte vor vielen tausend Jahren im biblischen Israel. Schon damals war es so: Wer ein Land regiert, trägt große Verantwortung. Ein König musste gut für sein Volk sorgen. Er musste Recht sprechen, das Land vor Feinden beschützen, sich darum kümmern, dass alle genug zu essen haben. Ein guter König sollte für Frieden im Land sorgen. Und für Wohlstand.

Ein König muss viele Entscheidungen treffen

Die Liste der Aufgaben war lang. Und bei jeder von ihnen haben die Leute von König Salomo eine gute und gerechte Entscheidung erwartet. Salomo gibt sich alle Mühe. Er ist jung. Und unerfahren. Das weiß er. Würde er der Aufgabe gerecht werden?

Eines Nachts, so erzählt die Geschichte in der Bibel, erscheint ihm Gott. Im Traum. Und Gott sagt zu Salomo: „Bitte von mir, was ich dir geben soll.“ Mit anderen Worten: Du hast einen Wunsch frei. Das kennen wir aus Märchen. Jetzt heißt es: Gut nachdenken. Salomo hätte sich alles Mögliche wünschen können. Geld, Gesundheit, ein langes Leben, Erfolg, schöne Kleidung, Vergnügungen aller Art.

„Schenke mir ein hörendes Herz.“

Aber Salomo wünscht sich nichts von alledem. Er überlegt lange und sagt dann: „Gott, ich bitte dich, schenke mir ein hörendes Herz. Damit ich verstehe, was gut und böse ist.“ (1. Könige 3,9)

„Schenke mir ein hörendes Herz.“ Ich finde, das ist ein bemerkenswerter Wunsch. Salomo denkt nicht nur an sich selbst. Ihm ist klar, er kann nur dann ein guter König sein, wenn er die Menschen, die ihm anvertraut sind, versteht. Wenn er weiß, was sie bewegt. Worüber sie sich freuen, was ihnen Sorgen macht.

Heute hat das Herz eine andere Bedeutung für die Menschen

Jetzt muss man wissen, dass das Herz für die Menschen der Bibel eine andere Bedeutung hatte als für uns heute. Für uns ist das Herz vor allem Gefühl. Wir denken an Leidenschaft, Romantik und Liebe. Unser Herz bebt, pocht, es brennt, leidet, es blutet und flattert. Hin und wieder rutscht es uns auch schon mal in die Hose. Aber kann es auch hören und verstehen?

Das Zentrum des Menschen ist das Herz

Nach biblischem Verständnis Ja. Denn in der Bibel ist das Herz mehr als ein Organ oder eine Metapher. Es meint den ganzen Menschen, sein Zentrum. Alles, was ich denke, was ich fühle, was ich tue, was ich will, was mich angeht, in meinem Herzen kommt es zusammen.

Ein hörendes Herz. Hören und gehört werden. Ich glaube, das ist etwas, was vielen Menschen guttut. Mir auch. Und das ist etwas, das ich zurzeit besonders gut brauchen kann.

"Hören und gehört werden. Das tut jedem Menschen gut"

„Gib mir ein hörendes Herz.“ Das wünscht sich in der Bibel König Salomo von Gott. Hören und gehört werden. Das tut jedem Menschen gut. Besonders, wenn man unsicher ist. Das habe ich erlebt. Damals als mein Kind das erste Mal geimpft werden sollte. Ich habe mich schlau gemacht. Im Gespräch mit dem Kinderarzt. Ich habe das Für und Wider abgewogen. Genau hingehört und eine Risikoeinschätzung vorgenommen.

Meiner besten Freundin habe ich von meinen Ängsten erzählt. Sie hat meine Sorgen nicht abgetan oder belächelt. Nein, sie hat mir geduldig zugehört und mir ihre Sicht der Dinge erklärt. Danach ging es mir besser. Ich fühlte mich freier. Und konnte dank des Kinderarztes und meiner Freundin entscheiden, was ich für mein Kind für gut halte. Ich habe es impfen lassen.

Ein hörendes Herz. Die Fähigkeit zu hören auf das, was mein Herz sagt, und auf das, was andere sagen und brauchen, das ist eine Gabe Gottes. Ein Geschenk. Gerade jetzt.

Corona ist noch lange nicht vorbei

Corona und die damit einhergehende Sorge vor Kontrollverlust werden wohl noch lange nicht vorbei sein. Auch wenn so einiges, Gott sei Dank, schon wieder geht: sich mit ausgewählten Freunden treffen. Wieder zum Friseur gehen. Die Kinder können endlich wieder in die Schule und den Kindergarten. Aber Abstand halten, Hände waschen, Maske tragen, vorsichtig sein. Das wird uns wohl noch eine Weile begleiten. Wir werden auch weiterhin abwägen müssen.

Ein hörendes Herz, das brauche ich jetzt. Für mich und für meinen Kontakt mit anderen. Klar, es gibt die Verhärteten und Verbohrten. Ich fürchte, ich werde sie nicht verstehen und auch nicht erreichen.

Einander zuhören und respektieren das ist jetzt wichtig

Aber es gibt die vielen, die wie ich nach einer stimmigen Haltung suchen. Von ihnen erhoffe ich mir ein hörendes Herz und will das für sie haben. Einander zuhören. Herausfinden, was den anderen bewegt und warum. In uns hineinhören. Respektieren, dass der andere anders tickt. Gemeinsam überlegen, was jetzt gut und richtig ist, welche Lösung und welcher Kompromiss ok ist. Nicht nur für mich, sondern auch für andere.

„Gott, schenke mir ein hörendes Herz“, bittet König Salomo in der Bibel. Das ist wirklich ein guter Wunsch. Nicht umsonst wird Salomo bis heute auch „der Weise“ genannt.

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