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Glück gehabt!
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Glück gehabt!

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Meine Frau und ich waren mit dem Auto unterwegs nach Mainz. Wir wollten ihre Mutter besuchen, die hatte Geburtstag. Doch auf halber Strecke ist erst einmal Schluss mit der Fahrerei – Stau. Wir rollen auf das Stauende zu. Ich sehe im Rückspiegel, wie ein anderes Auto von hinten angerast kommt. Ich denke: „Der kann bestimmt nicht mehr bremsen; gleich kracht’s!“ Mit hohem Tempo fährt der andere links an uns vorbei, reißt das Steuer nach rechts herum und rast durch die Lücke zwischen meinem Vordermann und mir auf die Standspur der Autobahn. Der Wagen schleudert ein bisschen, die Reifen quietschen und qualmen. Dann steht das Auto. Ein junger Mann steigt aus. Er ist ganz blass. Ich steige auch aus und gehe zu ihm. Er sagt nur: „Glück gehabt.“

Genau das habe ich auch gedacht. Wenn der in das Stauende reingerast wäre – kaum auszudenken, was da alles hätte passieren können. Glück gehabt!

Wir reden ein paar Minuten miteinander. Er erzählt: Er ist auf dem Heimweg von der Arbeit. Er wohnt im Taunus und pendelt jeden Tag nach Frankfurt. „Und wohin willst du?“, fragt er mich. „Wir wollen die Schwiegermutter besuchen; die wird fünfundneunzig.“ „Fünfundneunzig“, wiederholte er, „wie oft die wohl in ihrem Leben Glück gehabt hat wie ich eben?“

Meiner Frau und mir sitzt der Schrecken immer noch in den Gliedern, als es weitergeht. Wir reden darüber, was geschehen ist. Und wir sind uns einig: Wir werden ihre Mutter nicht ausfragen, wie oft sie wohl in ihrem Leben Glück gehabt hat. Aber wir werden sehr gut zuhören, wenn sie über ihr Leben im Rückblick auf die fünfundneunzig Jahre spricht.

Sie hat dann auch manche Ereignisse aus ihrem langen Leben erzählt. Dazu gehörte die Kriegszeit mit der Flucht und dem Verlust eines Kindes. Sie erzählte von der ärmlichen Nachkriegszeit. Da hat sie mit ihrem Mann zusammen, als der aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, in Mainz eine gemeinsame Existenz gegründet. Ein bescheidenes Haus haben sie gebaut und darin sechs Kinder aufgezogen. Glück gehabt.

Beim Zuhören haben wir gemerkt, dass sie einverstanden ist mit ihrem Leben – auch mit den Dingen, die nicht so geklappt haben. Ja sagen können zum eigenen Leben ist eine Stärke. In einem Psalm in der Bibel heißt es: „Lobe Gott und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103,2) Dazu gehören die Momente, in denen man sagen kann: Glück gehabt!

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