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Für wen bete ich?
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Für wen bete ich?

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin
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Ich denke oft an meine Großmutter. Sehr oft sogar. Dabei ist sie schon viele Jahre tot. Aber die Erinnerung verblasst nicht.

Viele Szenen fallen mir ein: Wie meine Großmutter sich entrüsten konnte, wenn jemand einen anderen derb beleidigte. Wie sie oft zärtlich über meine damals langen Haare strich. Wie selig sie lächelte, wenn ich sie besucht habe, um mit ihr ein Stück Kuchen zu essen. Wie entsetzt sie auf ein grünes Kleid schaute, das ich ihr vorschlug zu kaufen. „Nein, Liebmein, in meinem Alter trage ich beige.“

"Ich denke an dich"

Meine Großmutter war die Einzige, die mich „Liebmein“ nannte. Wenn eine Klassenarbeit angekündigt war, ein Zahnarztbesuch anstand oder sonst Wichtiges in meinem Leben an der Reihe war, sagte sie stets: „Liebmein, ich denke an dich.“

Manchmal sagte sie auch: „Liebmein, ich bete für dich.“ Ich habe sie verstanden. Zu Gott hatte sie ein angespanntes Verhältnis, seitdem ihre drei Brüder im Krieg gefallen waren. Das schob sie Gott in die Schuhe und wollte von dieser Vorstellung nicht lassen.

Aber so ganz ohne Gott ging es denn auch bei meiner Großmutter nicht. Wenn sie meinte, eine Situation sei besonders schwierig, griff sie zum stärksten Mittel: Sie betete.

Wenn sie es für mich tat, fühlte ich mich bedacht und geborgen. Wenn eine andere, ein anderer an einen denkt, gibt das Kraft. Wenn mir heute jemand sagt: „Ich denke an dich“, freue ich mich. Es tut einfach gut, wenn andere an einen denken.

Wenn er sagt: „Ich bete für dich“, fühle ich mich gestärkt. Es gibt mir das Gefühl:  Gott ist bei allem, was passiert, dabei.

Beten bedeutet auch nachdenken und Klarheit gewinnen

Wann habe ich eigentlich das letzte Mal jemandem gesagt: Ich denke an dich! Aus tiefstem Herzen und nicht einfach so daher geplappert. Immer wieder mal. Und ich denke und bete auch für meine Großmutter, obwohl sie längst verstorben ist. Eigentlich tue ich das für uns beide. Ich bete, dass sie es gut hat, dort, wo sie jetzt ist. Und dass das Band, das uns hält, nicht reißt.

Beten bedeutet ja auch, sich zu sammeln, nachzudenken, Klarheit zu gewinnen, auch, Wünsche zu äußern – für uns selbst, für unsere Liebmeins, für unsere Welt. 

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