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"Frieden sei ihr erst Geläute"
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"Frieden sei ihr erst Geläute"

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim

Wo auch immer in Europa Sie heute Abend um 18 Uhr sind – wahrscheinlich hören Sie dort den Klang der Glocken. Denn heute Abend läuten in allen Ländern Europas kirchliche und weltliche Glocken. Glocken sind ein wichtiges kulturelles Erbe Europas. Gut gewählt hat die Europäische Union mit ihrer Aktion den Tag heute, den Internationalen Friedenstag. Das Motto ist eine Zeile aus Friedrich Schillers wohl berühmtestem Gedicht, dem „Lied von der Glocke“: Die Zeile lautet: „Frieden sei ihr erst Geläute“.

Auch die Kirchen in dem Frankfurter Stadtteil Bockenheim, in dem ich arbeite, beteiligen sich an der Aktion. In der evangelischen St. Jakobskirche werden wir eine Friedensandacht feiern. Und wir werden dem Klang unserer vier Glocken lauschen.
Die haben, wie alle Glocken, viele Aufgaben. Sie machen den Rhythmus eines Tages und des Jahres bewusst. Sie läuten auch für besondere Momente im Leben: Zu Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten. Sie begleiten Verstorbene auf ihrem letzten Weg zum Grab. Glocken erinnern durch ihren Klang an Höhen und Tiefen des Lebens. Sie rufen die Mitglieder der Gemeinde zusammen und zeigen den Beginn des Gottesdienstes an. Damit erinnern sie: Wir gehören zu einer Gemeinschaft. Darum geht es heute beim europaweiten Glockenläuten: Neu zu entdecken, was die Menschen in Europa gemeinsam haben.

Drei unserer vier Kirchenglocken wurden 1921 eingeweiht. Damals war der Erste Weltkrieg noch präsent. Die alten Glocken waren im Krieg zu Kanonen eingeschmolzen worden. Eine Glocke in unserem Turm trägt diese Inschrift:
Die alten zerbrach des Weltkriegs Not,
die neuen verkünden den Frieden in Gott;
Ist hart auch die Zeit, wie Stahl sei der Sinn.
Wir weisen die Herzen nach oben hin.


Wenn wir heute für Frieden läuten, erinnern wir auch an furchtbare Zeiten des Kriegs, in denen Europa in Schutt und Asche gelegt wurde: das Ende des Ersten Weltkrieges vor einhundert Jahren und den Dreißigjährigen Krieg, der vor 370 Jahren zu Ende ging. Und die vielen anderen großen Kriege, die Deutschland und Europa in den letzten Jahrhunderten erlebt haben.
Es ist gut zu wissen, dass Glocken auch auf dem umgekehrten Weg entstanden sind: Das Naumburger Domgeläut etwa wurde aus 14 Kanonen gegossen.

„Wir weisen die Herzen nach oben hin“, steht auf einer unserer Glocken. Der Satz erinnert an Jesus, der gesagt hat: „Selig sind, die Frieden stiften. Denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Darüber werden wir heute Abend bei der Friedensandacht nachdenken. Wie geht denn das, Frieden stiften? Auf jeden Fall das: Andere Menschen in ihrer Vielfalt in den Blick nehmen. Was kann ich von anderen lernen, auch über mich? Ich habe schon einen Schritt zum Frieden gemacht, wenn ich aufgehört habe, meine Ansicht, meine Weltanschauung als die einzig sinnvolle zu behaupten. Wenn ich anfange, die anderen als genauso von Gott angesehen zu verstehen wie mich.
Das Glockenläuten heute Abend gibt den Impuls, den Frieden, der im Kleinen beginnt, ins Herz zu rufen. Und so den Frieden in Europa mitzugestalten.

Dazu passt die Inschrift einer weiteren Glocke in unserm Kirchturm. Auf ihr steht: „Pax“. Lateinisch für Frieden. Auch für diese Glocke gilt: „Frieden sei ihr erst Geläute.“

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