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Eine Meinung vertreten
Bildquelle: Werner Heiber/Pixabay

Eine Meinung vertreten

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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In meinem Beruf muss ich mir eine Meinung bilden und sie vertreten. Oft geht es um Menschen. Bei einem Einstellungsgespräch soll ich beurteilen, wer für die Stelle geeignet ist. Ich tue das nicht allein. Ich bin meist Mitglied eines Einstellungsausschusses. Da stellen sich Menschen vor, die sehr unterschiedlich sind. Zum Beispiel Gemeindepädagogen. Sie sollen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen arbeiten. Da gibt es solche, die stellen im Brustton der Überzeugung wunderbare Projekte vor, die sie sich in ihrer Arbeit vorstellen können. Andere schlagen leisere Töne an und wollen erst einmal schauen, mit wem sie arbeiten werden, um dann angemessene Methoden einzubringen. Jeder der Kandidatinnen und Kandidaten hat nur eine ½ Stunde Zeit, um sich vorzustellen. Wir aber müssen voraussichtlich über die Zusammenarbeit vieler Jahre entscheiden. „Man sieht bei einem Menschen immer nur bis zur Stirn“, sagt ein Ausschussmitglied, das sich fragt, ob alle Ideen und Versprechungen durch den Bewerber tatsächlich umgesetzt werden.
Nach den Einstellungsgesprächen gibt es einen Austausch. Jeder kann seine Meinung sagen. Die erste Meinung ist schon entscheidend, ist mir aufgefallen. Denn andere orientieren sich an ihr. Und dann ist da noch die Meinung der starken Redner. Es gibt andere, die schließen sich leicht an. Nicht selten habe ich mich gefragt, ob ich wirklich meine Sichtweise eingebracht habe oder schnell einer starken Mehrheit gefolgt bin. Bin ich den Bewerbern wirklich gerecht geworden oder war der Gruppenzwang so groß, dass ich nicht noch einmal versucht habe, eine andere Person mit ihren Fähigkeiten besonders herauszuheben.
Zum Thema Beeinflussung habe ich einen interessanten Beitrag gefunden. In einem Magazin wurden vier verschieden farbige Linien gezeigt, nur zwei davon hatten die gleiche Länge. Ich habe schnell herausbekommen, welche Linien gleich lang waren. Das ging anderen auch so.
In einem Versuch wurden dann aber einer Person jeweils sieben Helfer zur Seite gestellt, die vorher instruiert worden waren, eine andere Meinung als die Versuchsperson überzeugend wiederzugeben. Die Helfer beschrieben lange Linien kurz und kurze lang. Die nichtsahnenden Versuchspersonen schlossen sich der vorherrschenden Meinung an, obwohl diese falsch war.
So frage ich mich, ob wir glauben wollen, was viele glauben. Wie sehr werden wir von einer Gruppendynamik beeinflusst?
„Hosianna!“ hat einst die Menge begeistert gerufen, die von Jesus viel erwartete. Und es dürften fast dieselben gewesen sein, die später „Kreuziget ihn!“ riefen. Ich möchte mir eine eigene Meinung bilden und nicht der Meinung folgen, mit der meine Ohren zigfach am Tag beschallt werden. Ich möchte mutig sagen, wovon ich überzeugt bin und wie Kinder die nervige Frage „Warum?“ stellen, auch wenn ich dann mal am Rande einer Gruppe stehe.
 

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