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Beten – aber wie?
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Beten – aber wie?

Dr. Willi Temme
Ein Beitrag von Dr. Willi Temme, Evangelischer Pfarrer, Martinskirche Kassel
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Wie Gott selbst in uns betet
 

Vor zwei Wochen haben wir bei uns, in der Kasseler Martinskirche, Konfirmation gefeiert.
Festlich mit Posaunenklängen sind wir in die Kirche eingezogen. Und dann haben wir den Gottesdienst so begonnen, wie wir auch immer den Konfirmandenunterricht begonnen haben: Zunächst wird eine große Kerze entzündet. Und danach sprechen alle gemeinsam das Vaterunser. Aber – und das ist das Besondere in dieser Konfirmandengruppe – wir sprechen nicht nur die Worte des Vaterunsers, sondern wir bewegen uns auch dazu. Man kann sagen: Wir werden beim Beten praktisch. Und so haben wir es auch im Konfirmationsgottesdienst gemacht. Und wer von den Gästen wollte, konnte sich die Bewegungen einfach bei uns abgucken.

Mit den Bewegungen bei den Worten fiel es den Jugendlichen viel einfacher, die Worte auswendig zu lernen. Die beiden Mädchen und die drei Jungs, die da vor zwei Wochen ihren großen Tag hatten, besuchen gemeinsam eine Schule für praktisch bildbare Kinder und Jugendliche.
Praktisch bildbar – das heißt: Ihnen fällt es leichter, etwas durch praktisches Tun zu lernen, als nur im Kopf oder auf dem Papier. Am Ende der Schulzeit können einige dann durchaus lesen – andere aber haben es nicht gelernt. Dafür können sie aber vielleicht sehr gut gärtnern. Oder sie sind besonders fürsorglich und helfen gerne.

Seit einigen Jahren gebe ich in dieser Schule Konfirmandenunterricht. Und im Miteinander und im gemeinsamen Tun sind irgendwann die Bewegungen zu den Worten des Vaterunsers dazu gekommen.

Gleich möchte ich Ihnen noch etwas genauer berichten, wie wir das machen mit den Bewegungen.
Das soll dann eine erste Antwort sein auf die Frage, um die es heute Morgen gehen soll. Die Frage nämlich: Wie kann ich beten? Ja, wie kann ich auch dann noch beten, wenn mir die Worte dazu fehlen?

MUSIK 1  G.Ph. Telemann, Fantasie VIII für Flöte solo

Wie kann ich beten? Wie kann ich vielleicht sogar noch beten, wenn mir die Worte dazu fehlen?
Bei meinen Konfirmanden in der Schule für praktisch bildbare Kinder und Jugendliche heißt Beten: Wir werden beim Beten praktisch. Wir tun etwas beim Beten.

Wenn wir gemeinsam sprechen: Vater unser im Himmel, dann sagen wir nicht nur Himmel, sondern wir strecken auch unsere Hände und Arme aus zum Himmel, und wir schauen auch zum Himmel. Und genauso machen wir’s auch bei den Worten Geheiligt werde dein Name. Wir strecken uns ganz nach oben.

Und bei den Gebetsbitten, die dann im Vaterunser folgen, machen wir’s gerade umgekehrt.
Dein Reich - komme – von ganz oben, mit ausgestreckten Armen und Händen, holen wir das Reich Gottes herunter zu unseren Herzen.
Dein Wille – Arme nach oben – geschehe – Hände auf die Brust.
Wie im Himmel – Arme oben – so auf Erden – Hände auf die Brust

Wie kann ich beten? Wie kann das gehen? Gemeinsam mit meinen Konfirmanden habe ich gelernt: Beten kann so gehen, dass ich mich nach oben hin ausstrecke. Nicht nur im Kopf und im Geist, sondern wirklich mit dem ganzen Körper. Und dass ich dann gewissermaßen so Gott herunterhole. Aus dem Himmel herunter zu mir und in mein Leben.

Mit meinem Körper zu beten – das ist etwas, was ich tatsächlich erst mit diesen Jugendlichen gelernt habe. Und ich stelle fest: Es ist mir eine Hilfe in meinem Alltag. Oft gibt es doch da die Momente, wo die eigenen Gedanken sich im Kreise drehen. Man findet irgendwie keinen Weg nach draußen, geschweige denn einen Weg zu Gott.

Und da habe ich dann schon wiederholt erlebt: Es ist eine Hilfe, wenn ich mich hinstelle und mich ausstrecke. Und wenn ich das dann vielleicht zwei, drei Mal tue (sei es mit den Worten des Gebets oder auch ohne): Da konnte ich dann schon oft erfahren, da passiert etwas mit mir. Irgendwas verändert sich. Ich bin plötzlich wach. Im Hier und Jetzt. Ich atme tief, und kann mich entspannen.

Ich selber nenne es: Mit dem Körper beten. Und so kann ich auch beten, wenn mir die Worte fehlen.
Jedoch auch zu diesem Beten, gehört der Entschluss. Für einen Augenblick nehme ich mir Zeit. Ich unterbreche meinen Alltag. Und ich trete heraus aus dem Strom meiner Gedanken, und ich wende mich nach oben, zu Gott hin.
Konkret heißt das dann: Aufstehen, sich hinstellen, nach oben schauen und nach oben strecken. Oft ist mir dadurch schon leichter geworden. Vielleicht probieren Sie es ja selbst einmal.

MUSIK 2  G.Ph. Telemann, Fantasie XII für Flöte solo

Wie kann ich beten? Wie kann das gehen?

Eine andere Antwort auf unsere Frage gibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer. Auch er kennt die Erfahrung: Es will nicht gehen mit dem Beten. Die rechten Worte wollen sich nicht einstellen. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, sagt er. Und doch hat sich ihm in solchen Situation eine Tür aufgetan. Eine ziemlich überraschende Tür, wie ich finde. Die Sätze, um die es gehen soll, stehen im 8. Kapitel des Römerbriefs und lauten so:

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. (Röm 8,26)

Paulus hat eine Erfahrung gemacht, die ihm zur echten Hilfe wurde:
Ich kann zwar nicht beten, wie man sich’s so vorstellt, sagt er, aber ich kann seufzen. O ja, seufzen kann ich sehr!

Und zum Seufzen gab es im Leben des Apostels viele Gründe: Auf seinen langen Reisen war er oft in Gefahr. Mehrfach saß er für seine Überzeugungen im Gefängnis und wurde geschlagen. Und dann trug er auch noch die Last einer nicht näher bekannten unheilbaren Krankheit. Paulus wusste also, was es heißt: Seufzen unter einer sehr großen Last und Bürde.

Und es ist dieses Seufzen, das für den Apostel eine große Bedeutung gewinnt in seinem Verhältnis zu Gott:
Seht, dieses Seufzen, das ist mein Beten, wenn mir die Worte fehlen – sagt er.Und er ist sich sicher: Dieses Seufzen kommt von Gott.

Paulus nennt es den Heiligen Geist, der sich in unserem Seufzen einen Ausdruck sucht. Und man sollte sich auch das wieder ganz körperlich vorstellen. Die Luft, die wir beim Seufzen herausblasen oder –pusten, dieser Luft-Wind ist der spürbare Geist, der in und um uns wirkt.
Paulus hat seinen Brief in griechischer Sprache geschrieben. Und im Griechischen gibt es für Geist und Wind dasselbe Wort. Es heißt Pneuma – Geist und Wind in einem.

Und wenn wir tief seufzen, sagt Paulus, dann könnt ihr den Geist erleben. Ganz spürbar ist er da. Ihr müsst es nur wahrnehmen. Der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

MUSIK 3 J.S. Bach, Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“, Abschnitt „Sondern der Geist selbst“

Der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

Das Seufzen gehört zu den Lebensäußerungen, mit denen wir sowohl Schönes wie Schweres verbinden.
Es gibt das Seufzen als Ausdruck der Erleichterung. Und es gibt das Seufzen als Ausdruck einer schwer zu tragenden Last.

Wir seufzen, wenn zum Beispiel eine schwere Arbeit endlich beendet ist: Ach, das wäre geschafft! Endlich vorbei!
Oder wir seufzen, wenn der Arzt sagt: „Es gibt keinen negativen Befund. Freuen Sie sich, Sie sind gesund!“ Ach, welche Last fällt uns da von den Schultern!
Aber wir seufzen eben auch unter dem Druck dieser Last: Ach, die Arbeit macht mich fertig. Ich weiß gar nicht, wie ich das alles schaffen soll!
Oder: Ach, wie soll das werden, wenn ich wirklich ernsthaft krank bin! Ach, ich mag’s mir gar nicht vorstellen, wie das dann wird!
Unser Seufzen ist ein Ausdruck unserer Last: Sei es der Last, die uns bedrückt oder sei es der Last, die von uns abgefallen ist.

In beiden Fällen ist da dieser Luft-Wind, den wir durch die Nase oder den Mund hinaus pressen. Und in beiden Fällen sucht sich unser Körper so Erleichterung zu verschaffen. Erleichterung von einer großen Last.
Gerade in Situationen, wo wir sehr unter Druck stehen, oder wo es uns eng wird mit unserem Leben – gerade in solchen Situationen gilt oft das Wort des Paulus Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt.

Und so schwer, wie uns manchmal das Leben ist, so schwer ist uns manchmal auch das Beten. Ja gerade da, wo wir ganz besonders auf Gottes Hilfe hoffen und wo wir uns besonders nach Veränderung und Verbesserung sehnen – gerade da kann es vorkommen, dass sogar das Gebet selber uns zur Last wird.

Es gibt Situation und Lebenslagen, da klammern wir uns gewissermaßen an Gott und ans Gebet. Wir drehen uns mit unseren Bitten und unseren Wünschen im Kreis und wissen nicht, wie es da wieder heraus geht.

Ja, es ist richtig, die Bibel ermutigt uns zum inständigen Beten.
Bittet, so wird euch gegeben, sagt Jesus. Und ein anderes Bibelwort sagt: So ihr mich von ganzem Herzen suchet, so will ich mich von euch finden lassen.

Jedoch richtig ist auf der anderen Seite auch, was der Apostel Paulus sagt:
Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt.

 Es gibt nämlich auch – um es einmal so zu sagen - das Gebet über Gebühr. Beten mit zu viel Worten. Worte, die dauernd um uns selber kreisen. Es gibt das Gebet, das sich festhakt an den persönlichen Wünschen und Hoffnungen. Das Gebet, das den weiten Horizont nicht mehr kennt. Die Weite des Lebens, in die uns Gott gestellt hat.

Und da kann dann manchmal ein tiefer Seufzer mehr sagen als viele Worte.

MUSIK 4  G.PH.TELEMANN, Fantasie VI für Flöte solo

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

Diese Worte des Apostels Paulus sind für mich eine echte Horizonterweiterung. Sie zeigen mir nämlich: Wenn ich wirklich schwach bin, dann nimmt mir Gott selber das Beten ab. Das Beten soll keine zusätzliche Last sein! Sondern Gott selber, sein Geist, betet durch mich. In meinem Atem, in meinem Seufzen soll ich es ganz körperlich spüren: Gott ist da. Sein Geist durchdringt mich. Ich bin mit Gott verbunden.
Der Geist Gottes umgibt uns wie eine Hülle und er durchdringt uns wie die Luft, die wir atmen. Gottes Geist ist gegenwärtig.
Und was kann das heißen für unser Beten? Ich will es mal so sagen: Lasst uns beten, aber lasst es uns nicht zu angestrengt tun.
Lasst uns vielmehr dem Geist Gottes vertrauen, der in uns und um uns ist und der uns auf unserem Weg begleitet.

Und wenn dieser Weg uns schwer wird und wir unter unserer Last seufzen müssen, dann sollen wir in diesen Seufzern den heiligen Geist selbst erkennen, den Geist, der uns vor Gott vertritt. Mehr Worte braucht es da dann nicht.
Mag sein, dass auf diese Weise dann aus den Seufzern der Last, Seufzer der Erleichterung werden: Ach ja, Gott ist ja da, wie konnte ich es vergessen!

Seufzer der Erleichterung gab es vor zwei Wochen auch bei meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden: Am Ende war alles geschafft, vor dem Altar haben sie den Segen Gottes für ihr Leben bekommen. Und alle haben für sie gebetet: Die Eltern und Paten, die Lehrerinnen und Lehrer, die auch da waren, und die Freunde und die ganze Gemeinde.

Da beim Gebet vor der Einsegnung war es noch einmal ganz still geworden in der Kirche. Und so viele Wünsche und Bitten wurden nach oben gesendet. Wie wird das Leben dieser jungen Leute wohl weiter gehen?
Ich, als ihr Pfarrer und Konfirmator, würde mich freuen, wenn auch in Zukunft das Vaterunser auf ihrem Lebensweg mit dabei wäre. Und vielleicht beten die jungen Leute das Vaterunser ja auch weiterhin so, wie wir’s immer gemeinsam gemacht haben:

Aufstehen, sich hinstellen, nach oben schauen und nach oben strecken. Ich selber jedenfalls werde es immer wieder so machen. Beten mit dem Körper. Mit den Konfirmanden zusammen habe ich’s gelernt.

Musik 5  J.S. Bach, Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“, Beginn

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