
Die Gesellschaft im Kleinbus
Jeden Tag war unsere bunt zusammen gewürfelte Truppe zusammen. Es waren Patientinnen und Patienten, die mit mir zusammen morgens in einem Kleinbus in eine ambulante Rehaklinik gefahren und abends von dort zurückgebracht worden sind. Wir waren sechs Leute, die so immerhin anderthalb Stunden am Tag miteinander verbracht haben, und das vier Wochen lang. Ich war da mit Leuten zusammen, die ich sonst wahrscheinlich nie so gut kennengelernt hätte. Vom Bauarbeiter über eine Erzieherin bis hin zu Rentnerinnen waren viele verschiedene Berufsgruppen vertreten; es waren reiche und auch ärmere Menschen mit dabei. Wir waren wirklich eine „bunte Mischung“, die da jeden morgen und jeden Abend zusammen war.
Unterschiedlichste Meinungen auf engstem Raum im Kleinbus
Jetzt, nach dieser „Rehazeit“, fehlt mir diese Gruppe sogar ein wenig. Denn wir haben uns gut verstanden und nicht selten auch zusammen gelacht. Uns hat etwas verbunden: Wir waren alle Patient*innen und konnten uns vom Klinikalltag erzählen und berichten, wie es uns geht. Das hat uns auch immer wieder dann zusammen gebracht, wenn wir mal ganz verschiedener Meinung waren. Das kam oft vor: Es war die Zeit, in der überall die Wahlplakate gehangen haben. Die haben uns immer genug Gesprächsstoff gegeben. Da ging es um Migration und Umweltschutz, über Rente und die Inflation. Oft ging es bei den Debatten auch hoch her. Ich muss sagen: Ich bin in meinem „normalen Leben“ nicht so viel mit Menschen zusammen, die eine so andere Meinung zu bestimmten Themen haben wie ich. Mir hat das gefallen: Ich habe so andere Meinungen kennengelernt, die ich vorher nicht so gesehen hatte. Besonders gut aber hat mir gefallen, dass wir nie im Streit auseinander gegangen sind. Am, Ende war das, was uns verbunden hat, viel stärker.
Raus aus der eigenen Blase, offen für Gespräche
Ich finde: solche Räume zum Zusammenkommen wie der in meinem Kleinbus sollte es viel öfters geben. Wie oft lese ich davon, dass immer Menschen nur noch in ihren eigenen Blasen leben; mit Menschen, die aus dem gleichen Milieu stammen und meistens die gleiche Meinung haben. Ich höre von der „Spaltung der Gesellschaft“ und wie schlecht das für die Demokratie in unserem Land ist. Mir ist klar: Nur, wenn Menschen zusammenkommen und miteinander reden, können sie sich über Streitfragen einigen und zu Kompromissen kommen. Dafür braucht es Möglichkeiten und Räume. Meine tägliche Kleinbusfahrt war so eine. Aber ich bin davon überzeugt: So etwas ist auch in Vereinen, Organisationen und besonders auch in Kirchengemeinden möglich!