
Die Würde achten
Es war Anfang der 90er Jahre. Die politische Stimmung war mehr als aufgeheizt. In Hoyerswerda, Rostock, Solingen gab es immer wieder rassistische Übergriffe und Anschläge. Plumpe Parolen wie „Ausländer raus“, „Das Boot ist voll“ wurden gegrölt und an Häuserwände oder Erstaufnahmelager geschmiert.
Viele sagten: So nicht!
Zugleich waren sich viele in Deutschland einig: So nicht! In meiner Heimatstadt organisierte damals ein breites Bündnis aus Parteien, Vereinen zusammen mit dem Dekan des Kirchenkreises auf dem Marktplatz eine große Demo gegen Rechtsradikalismus. Viele sind gekommen.
Vor Gott und dem Gesetz haben wir die gleiche Würde
Da entdecken einige der Demonstranten am Rande der Veranstaltung einen stadtbekannten Rechtsradikalen. Was will der hier? „Verschwinde!“ brüllen die ersten. „Du Vollidiot, du hast hier nichts zu suchen.“ Der Mann brüllt zurück. Dann fliegen aus der Menge erste Gegenstände. Der Dekan eilt herbei, stellt sich direkt vor den Rechtsradikalen. Voll in die Schusslinie. Bestimmt ruft er: „Aufhören. Wer sich für die Würde aller Menschen einsetzt, kann nicht einen Menschen beschimpfen und ihn mit Tomaten beschmeißen. Wer ihn bewerfen will, der muss zuerst mich bewerfen, denn vor Gott und dem Gesetz haben wir die gleiche Würde.“
Heute leben wir wieder in politisch aufgeladenen Zeiten
Dieses Erlebnis war für mich lehrreich. Heute leben wir wieder in politisch aufgeladenen Zeiten mit neuen Parolen und Gegenparolen. Antisemitische und rassistische Straftaten nehmen ständig zu, der Ton wird rauer. Wieder ist es notwendig, daran zu erinnern: Bei allen Differenzen geht es auch immer um die Würde aller Menschen in unserem Land. Die hat Gott einem jeden von uns geschenkt. Und die sollen wir achten, auch bei aller Ablehnung einzelner Positionen unseres Gegenübers. Es ist auch unsere Würde und die zu bewahren ist die Grundlage für ein friedvolles Gegen- wie Miteinander in unserer Gesellschaft.