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Proaktives Handeln
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Proaktives Handeln

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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„Wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei.“ (Matthäus 5,41) Dieser Satz wird Jesus im Neuen Testament zugeschrieben und er weckt meine Neugierde. Was für eine merkwürdige Empfehlung! Warum sollte ich mit jemandem statt einer Meile gleich zwei gehen?

Jeder beliebigen Bürger konnte zum Gepäckschleppen rekrutiert werden

Historisch betrachtet ist die Bedeutung schnell zu liefern. Palästina, die Heimat Jesu, stand damals unter römischer Herrschaft. Und das hatte Folgen. Wenn einem römischen Soldaten sein Fußmarsch zu anstrengend war, durfte er jeden beliebigen Bürger des Landes nötigen, ihm das Gepäck abzunehmen. Und zwar für jeweils eine Zwangsmeile, dann musste er sich ein anderes Opfer suchen.
Eine Maßnahme, gegen die man sich besser nicht auflehnte, um nicht bestraft zu werden. Zudem empfanden die Drangsalierten diese Zwangsarbeit als Demütigung.

Durch Jesu Empfehlung werden die Verhältnisse umgedreht

Auf diese Situation spielt Jesus an, wenn er die Empfehlung gibt, nicht nur eine Meile mitzugehen, wie verlangt, sondern gleich zwei. Damit werden die Verhältnisse umgedreht. Aus der Zwangslage wird eine freiwillige Leistung, und der Täter wird damit zugleich bloßgestellt. Das Prinzip, das hinter dieser Haltung steht, ist auch auf andere Situationen übertragbar, und es ist ausgesprochen aktuell.

Eine positive Streitkultur braucht Annäherung

Die Empfehlung, den geforderten Tribut durch freiwillige Leistung zu ersetzen, ist mehr als nur die Ersetzung des Bösen durch das Gute. Es beinhaltet gleich mehrere Aspekte, die ineinandergreifen. Auf der ersten Meile des Weges passiert noch nicht viel, hier wird schlicht der Triumph der Macht ausgekostet. Aber auf der zweiten Meile kommen die Gegner miteinander ins Gespräch. Es gibt eine Annäherung, schon weil die freiwillige Leistung verblüfft. Vielleicht führt diese unerwartete Kehrtwende sogar zu einer Diskussion oder womöglich zu einem Streitgespräch. Dann ist das Ziel erreicht. Eine positive Streitkultur braucht diese Annäherung und die Gelegenheit zum miteinander sprechen.

Proaktives Handeln kann Konflikte entschärfen

In der modernen Sprache wird das als proaktives Verhalten umschrieben. Gemeint ist damit die Fähigkeit, den Weg selbst zu bestimmen, indem ich durch eigene Initiative die Situation beeinflusse. So ein zielgerichtetes Handeln kann Konflikte entschärfen und den Kontrahenten entwaffnen.

Den geschürten Konflikt nicht übernehmen

Deshalb ist für mich die Aufforderung Jesu zum pro-aktiven Handeln auch heute wertvoll. Wo autoritäre Kräfte auf Spaltung zielen und die Menschen gegeneinander aufbringen wollen, wird das immer wichtiger: Den geschürten Konflikt nicht übernehmen, stattdessen den Weg selbst bestimmen, freiwillig auf die anderen zugehen, ins Gespräch kommen. In der Sprache der Bibel wird diese pro-aktive Streitkultur mit den Worten zusammengefasst: „Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir will.“(Matthäus 5,42)

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