
Gott atmet in mir
„Gott ist da, irgendwie“, sagte mir eine ältere Dame. „Wenn es besonders schlimm ist, versuche ich, mir das bildlich vorzustellen: Gott atmet in mir.“
Entspannung hilft beim Atmen
Diese Dame ist chronisch krank. Sie bekommt nicht viel Luft. Sprechen fällt ihr schwer. Die wenigen Worte, die sie hat, sind kostbar. Sie schenkt sie mir, manchmal. Als Seelsorgerin bin ich für sie da. Wenn sie erzählt, was sie stärkt, was ihr Kraft gibt.
Sie sagt: „Gott macht mich weich. Wenn ich wenig Luft kriege, stelle ich mir vor: Gott atmet in mir. Gott holt Luft. Und entspannt mich so, dass ich auch ausatmen kann.“ Zwischen den Sätzen macht sie Pausen. Sammelt Kraft. Fährt dann fort: „Entspannen ist ja das Wichtigste fürs Atmen. Sonst geht’s nichts. Und dafür macht mich Gott weich.“
Ich habe mir da vorgestellt: Gott sitzt neben mir. Ist einfach da. Geht nicht weg.
Einmal, erzählt sie, war es besonders schlimm mit Luftnot und Herzrasen. Sie sagt: „Ich habe mir da vorgestellt: Gott sitzt neben mir. Ist einfach da. Geht nicht weg. Als der Anfall vorüber war, war es, als hätte Gott mir die Wange gestreichelt. So wie mein Mann. Zart. Behutsam. Und da, an dieser Stelle zwischen Wange und Lippen, da habe ich ihn gespürt. Gott. Mich. Und mich dabei gehalten gefühlt. Geborgen. Da war ich so leicht. Und das alles nach diesem Anfall.“ Nach den Besuchen bei dieser Dame gehe ich immer berührt nach Hause. Diese Kraft beeindruckt mich. Und ihre Dankbarkeit.
Ist Gott Schuld an Krankheiten?
Am Anfang, als noch mehr Luft da war, habe ich sie mal gefragt: „Hadern Sie nicht mit Gott? Dass sie so krank sind?“ Ich erinnere mich noch genau: Ihre Augen leuchteten damals. Sie sagte: „Nein, ich glaube nicht, dass Gott irgendwie damit zu tun hat, dass ich krank geworden bin. Das ist das Leben. Das ist so. Menschen werden nun mal krank. Gott kommt für mich erst da ins Spiel, wo es ums Aushalten und Durchleben geht. Ich glaube, dass Gott mir immer wieder Menschen schickt, die mittragen.
Gott kommt erst beim Aushalten und Durchleben ins Spiel
Die Pflegerinnen… Da gibt es eine, die so besonders liebevoll ist. Die Ärztinnen, die aus der Ferne sehr genau meine Werte überwachen und so exakt und klug sind. Meine Tochter, mein Sohn, meine Schwiegerkinder, meine Enkel: sie sind so fürsorglich für mich da und achten darauf, mich nicht anzustecken. Sie bringen mir Blumen mit oder etwas, das sie unterwegs gefunden haben. Ich glaube, Gott ist in der Liebe, die mich da umgibt. Gott ist in der Liebe, in der mein Mann und ich leben, wie ein schützender Kokon. In dieser Liebe ist Gott.“
Für die Angehörigen ist es nicht leicht - Sie betet für Leichtigkeit und Freude
Als ich sie fragte, ob ich hier davon erzählen darf, hat sie abgewogen, nachgedacht. Genickt. Dann bat sie mich: „Sagen Sie noch dazu, wie hart es auch ist. Für meine Familie. Ich weiß das. Mein Mann, auch die Kinder. Sie stellen immer wieder ihres zurück. Für sie bitte ich Gott um Leichtigkeit und Freude. Dass sie trotz meiner Pflege auch genug für sich haben. Ich stelle mir vor: Gott atmet auch in ihnen.“