
Die Eisheiligen
Ich gebe es zu: Ich bin einer neuen Leidenschaft verfallen: dem Hochbeet-Gärtnern. Seit vergangenem Jahr machen sich zwei Hochbeete am sonnigsten Platz in unserem Garten breit. Voller Eifer, aber ziemlich naiv, hatte ich mich also ins gärtnerische Schaffen gestürzt – mit leider mäßigem Erfolg. Ich hatte so ziemlich alle Fehler begangen: Den Tomaten war es zu zugig, die Karotten wuchsen zu eng, den Kürbis ließ ich ungebremst Blüten treiben. Nun ja, Herbst und Winter ließen mir etwas Zeit, mich besser vorzubereiten. Ich studierte Bücher, plante sorgfältig Reihenfolge und Nachbarschaft der Pflanzen, tauschte mich mit Gleichgesinnten aus, die scheinbar mit Leichtigkeit reiche Ernten einfuhren.
Der Natur beim Wachsen zuschauen
Das Ergebnis ist nun, dass sich seit Wochen Tomaten-, Paprika- und Chilipflanzen vorm sonnigen Küchenfenster drängeln. Es bereitet mir wirkliche Freude, ihnen beim Wachsen zuzuschauen, sie zu umsorgen. Die fünf Tomatenpflanzen kann ich nahezu von Anfang an ihrer Wuchsform unterscheiden. Jede für sich wunderschön. Nein, Namen habe ich ihnen nicht gegeben.
Und in einigen Tagen wird es so weit sein: Alle sorgsam gehegten Pflänzchen werden ihren Platz draußen in den Beeten bekommen. Dann soll die Gefahr für kalte Nächte für dieses Frühjahr vorüber sein. Diese werden nach mittelalterlichen Bauernregeln an den Eisheiligen erwartet. Meteorologische Langzeitmessungen bestätigen das exakte Zusammenfallen des letzten Frühjahrsfrostes mit den Eisheiligen für heutzutage nur bedingt. Sie legen nahe, für den Zeitpunkt der Aussaat die aktuelle Gesamtwetterlage mitzubetrachten. Das werde ich auf jeden Fall tun – und die Eisheiligen abwarten.
Die Bedeutung der Eisheiligen
Diese beginnen hier und heute mit dem Heiligen Pankratius. Ihm folgen Servatius, Bonifatius und die „Kalte Sophie“. Alle lebten im 3. und 4. Jahrhundert. Servatius war wohl der erste Bischof im belgischen Tongern. Der Legende nach habe er den Einfall der Hunnen in Europa im Jahr 450 vorhergesehen. Pankratius, Bonifatius und Sophie zählen zu den Märtyrern und Märtyerinnen. Pankratius und Sophie starben der Legende nach bei der Christenverfolgung durch Kaiser Diokletian in Rom. Bonifatius kam in Tarsus in der Türkei zu Tode. Er ist nicht zu verwechseln mit Winfried Bonifatius, dem „Apostel der Deutschen“, der im Fuldaer Dom begraben liegt. Wohl aber benannte Winfried Bonifatius sich nach dem altkirchlichen Märtyrer und sollte selbst seinen Tod auf einer Missionsreise in Friesland finden. Bekannt ist die Legende, dass er sich mit seiner Bibel vor dem Schwert seines Angreifers geschützt haben soll – erfolglos, wie wir wissen.
Ein Einsatz für die Vielfalt der Natur
Erfolgreich für mich wird hoffentlich dieses, mein 2. Gartenjahr. Wenn ich meine sorgsam behüteten Pflänzchen bald Wind und Wetter aussetze und um ein paar Tomaten, Paprikas, Chilis bange – so ist mir bewusst, wie unerheblich dies angesichts der Sicherung von Ernten und der gerechten Verteilung von Nahrung auf unserem gesamten Planeten ist. Angesichts der Erderwärmung ändern sich die klimatischen Bedingungen grundlegend. Alles Leben auf der Erde ist bedroht. Manchmal fühle ich mich ohnmächtig und bezweifle Sinn und Nutzen meines Engagements für Klima und Umwelt.
Retten kann ich die Welt nicht – trotzdem halte ich am Gärtnern fest. Denn angesichts aller investierten Zeit und Arbeit, der Abhängigkeit von Sonne und Regen, der gewünschten Abwesenheit von Krankheiten sowie dem ungewissen Ernteerfolg macht es mich persönlich dankbarer und demütiger gegenüber allem Leben und allen Lebewesen. Tag für Tag aufs Neue.