
Der 8. Mai - ein Feiertag?
Das Bild zeigt die Kirche St. Nikolai in Hamburg, die während des Zweiten Weltkriegs nahezu vollständig zerbombt wurde. Sie dient heute als Mahnmahl und erinnert an die Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges.
Heute vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Dieser Tag ist ein Gedenktag. An vielen Orten in Europa finden Gedenkfeiern statt – auch bei uns in Deutschland. Doch nur wenige können daran teilnehmen. Die meisten gehen heute ganz normal ihrer Arbeit nach. Die verstorbene Esther Bejarano, die das KZ Auschwitz-Birkenau überlebt hat, forderte deshalb vor einigen Jahren: „Der 8. Mai muss ein Feiertag werden!“
Der Tag der Befreiung
Esther Bejarano erinnert sich mit purer Freude an den 8. Mai 1945, den Tag der Befreiung. Sie war damals auf einem sogenannten Todesmarsch, konnte fliehen und hat oft erzählt: „Ich wurde in der Stadt Lübz befreit. Auf dem Marktplatz haben die Soldaten ein Hitlerbild verbrannt, alle haben gefeiert, lagen sich in den Armen – und ich habe dazu Akkordeon gespielt.“[1]
Die Frage nach Schuld und Verantwortung
Der 8. Mai ein gesetzlicher Feiertag? Es gibt auch Stimmen, die diese Idee ablehnen. Denn ein „Tag der Befreiung“ ist mehrdeutig. Die Gegner argumentieren: Wenn am 8. Mai alle Deutschen feiern, dass sie von der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus befreit wurden: Wird so die Frage nach der Schuld und der Verantwortung der Deutschen nicht ausgeblendet? Viele sehen die Gefahr: Wo es keine Täter gibt, gibt es nur noch Opfer.
Hoffnungen der Menschlichkeit
Was Esther Bejarano über den 8. Mai gesagt hat, hilft mir, meinen Blick zu weiten. Sie meinte: „Der Tag bietet die große Chance, über die Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit. Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit.“
Am 8. Mai geht es für sie nicht nur um den Blick zurück, sondern vor allem um die Zukunft. Um die Frage: Wie wollen Menschen zusammenleben?
Wie wollen Menschen in Zukunft zusammenleben?
Für mich steht diese Frage im Horizont meines christlichen Glaubens: Gott hat die Menschen als gleichberechtigte Wesen erschaffen. Er hat ihnen die Freiheit gegeben, diese Welt zu gestalten. Und den Auftrag, diese Welt geschwisterlich zu bewohnen – versöhnt und miteinander verbunden. Als Menschen den Frieden suchen und gemeinsam den Frieden feiern: Das ist für mich eine tröstliche Ideal-Vorstellung. Der heutige Gedenktag erinnert daran.
Erinnerung wachhalten und Impulse setzen
Damit sie Wirklichkeit wird, braucht es Aktionen, die auch junge Menschen einbeziehen. Die die Erinnerung wachhalten und damit Impulse setzen für eine friedlichere Zukunft. So wie etwa die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Durch sie gehen seit Jahrzehnten Freiwillige aus Deutschland nach Israel oder setzen sich in anderen Ländern mit der NS-Geschichte auseinander. Junge Menschen aus verschiedenen Ländern begegnen sich und sprechen über Fragen zu Krieg und Frieden, globalen Krisen und internationaler Zusammenarbeit. Solche Treffen und Gespräche braucht es.
Bejaranos Traum: Den Frieden feiern
Der 8. Mai als gesetzlicher Feiertag könnte dazu dienen. Dabei - stärker als bisher - als Tag der Solidarität und der Hoffnung. Gemeinsam mit Menschen aus anderen Ländern. Gerade jetzt, wo ein furchtbarer Krieg in der Ukraine, auf europäischem Boden, tobt und in vielen Ländern die Demokratie massiv gefährdet ist.
Damit wahr wird, was Esther Bejarano nicht mehr erlebt hat. Sie hat gesagt: „Mein größter Wunsch ist, noch einmal zu erleben, wie Amerikaner und Russen sich wie damals in Lübz umarmen und küssen und gemeinsam das Ende des Krieges feiern! Mehr noch: Den Friedenfeiern!“
Auch Autor Fabian Vorgt erinnert in hr3 Moment Mal an den 8. Mai 1945 und erzählt von einem Gedenktag, der eine äußerst wechselhafte Geschichte hinter sich hat.
[1] Alle Zitate: www.auschwitz-komitee.de/5249/esther-bejarano-wir-sind-da-meine-befreiung-im-mai-1945-und-meine-hoffnungen/